Fortsetzung des Romtagebuchs Umzug Wir sind in Neapel! Am Dienstag haben wir gegen halb fünf Uhr nachmittags unsere alte Wohnung in der Nähe von Andernach verlassen und sind dreieinhalb Stunden bis Ulm gefahren, wo wir die erste Nacht verbracht haben. Am nächsten Morgen erreichten wir nach elf anstrengenden Stunden Rom. Wir wurden fürstlich in Paglierini, einer ehemaligen Römersiedlung oberhalb Sacrofanos untergebracht. Das Anwesen ist im Besitz der Signora Allegri, einer Adeligen, deren Familie früher ganz Sacrofano gehört haben soll. Freunde haben für uns gekocht und mit uns bis nach Mitternacht Wiedersehen und Abschied gefeiert. Übrigens herrscht eine Affenhitze (36°), die vor allem unseren Möbelpackern zu schaffen macht. Die Einfahrt in die Garage wird gerade geteert, was den Zugang mit den Möbeln zu allem übel auch noch erschwert. Es ist halb zwei am Nachmittag. Ich sitze mit schmutzigen Füssen und schweißverklebten Haaren in meinem neuen Schlafzimmer auf dem Bett und versuche den Schreiner zu verstehen, der sich mit mir auf neapolitanisch unterhält. Ich bin müde, man kann sagen ziemlich fertig. Drei Wochen sind vergangen – mit putzen, Handwerkern in der Wohnung, Schulanfang, dem Suchen der alltäglichen Trampelpfade. Wir haben fast alle Nachbarn kennengelernt – die einen etwas besser, die andern oberflächlicher. So, nun machen wir einen gewaltigen Sprung. Aus Kummer darüber, dass ich immer noch kein Telefon und also auch keinen Internetanschluss habe, habe ich das Tagebuchschreiben ganz gelassen. Außerdem gab es wahrhaftig genug andere Dinge zu sehen und zu erleben. Am letzten Wochenende zum Beispiel haben wir dem Haus und dem Dreck und der Arbeit, die damit verbunden ist, den Rücken gekehrt und sind mit Mann und Maus, d.h. wir alle fünf samt Hund, auf die Insel Ponza gefahren. Es ging am Freitag direkt nach dem Unterricht der Kinder, also kurz vor drei Uhr, mit dem „neuen“ Auto (Fiat Uno Turbo Diesel, Baujahr 88) in wilder Fahrt nach Formia. Das liegt etwa achtzig Kilometer nördlich von Neapel und ist Anlaufhafen der Gesellschaft Caremar, die das Festland mit Ponza und Ventotene verbindet. Der Autofähre konnten wir gerade noch zuwinken, als wir gegen zwanzig vor vier Uhr am Hafen ankamen. Nun hieß es Schlange stehen an der Biglietteria, um Plätze auf dem Aliscafo (Tragflügelboot) zu bekommen, das um 16:40 Uhr abfährt. Michael hat derweil das Auto bei einem Parkplatzwächter für 10.000 Lire in Obhut gegeben. Ich habe immer das dumme Gefühl, dass sie mehr ihren Parkplatz als unser Auto bewachen. Nach dem üblichen Chaos, das herrscht, wenn Italiener südlich von Rom in einer Schlange stehen sollen, saßen wir zufrieden um kurz vor fünf im Bauch des Schiffes, welches uns in schneller Fahrt, aber leider mit dem Umweg über Ventotene, um sieben Uhr in Ponza ablieferte. Die Sonne war gerade untergegangen und ein riesiger Vollmond überstrahlte die kleine Bucht, in der der gleichnamige Hauptort der Insel Ponza eingebettet liegt. Der Baustil der Häuser, weiße und pastellfarbene Würfel, gibt Zeugnis davon, dass die Araber und Sarazenen einst Herren der Insel waren. Unsere Ferienwohnung liegt jedoch nicht dort am Hafen, sondern in La Forna, einem Örtchen auf der anderen Seite der zerklüfteten Insel. Am Hafen wartete schon ein Freund aus Rom auf uns. Er war schon einen Tag eher auf der Insel und hat das ganze Wochenende für uns organisiert. Und so hatte er den Wirt einer Trattoria überreden können, uns mit seinem Kleinbus abzuholen. Dafür würden wir die nächsten Abende bei ihm Essen. Am nächsten Morgen fahren wir mit einem eigenen Boot zur Insel Palmarola, sechs Seemeilen entfernt. Auch für das Boot samt Kapitän hatte unser Freund gesorgt, und so konnten wir den ganzen Tag zwischen steilen Felsnadeln schwimmen und angeln und auf dem Bootsdeck in der Sonne dösen. Es waren nur wenige andere Boote unterwegs, denn die Saison ist im September schon längst vorbei. Chorleben Die Gassen der Altstadt sind regennass und vom gelben Schein der wenigen Straßenlaternen in ein seltsames Licht getaucht. Wäsche hängt von Haus zu Haus trotz des feinen Regens. Motorini lehnen an den Hauswänden. Überall Treppchen und Steinbögen, die die Häuser verbinden oder stützen, wer weiß? Die ganze Szene wirkt unwirklich, oder besser, so wirklich, dass man sich in einen alten Film mit Sophia Loren versetzt fühlt.
Ich muss um 6 Uhr aufstehen, duschen, mich zurechtmachen, schminken. Es bleibt kaum Zeit fürs Frühstück – aber Michael, der die Kinder geweckt und das Essen gerichtet hat, besteht darauf, dass ich etwas esse. Alltag Draußen wird der Garten gemacht und drinnen frisch abgebröckelte Putzlöcher neu verschmiert und angestrichen (bei jedem Windzug fällt eine Tür zu und es bricht wieder ein Stück Putz aus der Wand). Die Männer, die im Garten arbeiten sind dieselben, die die Wände verputzen. Auf diese Weise verteilen sie mit ihren Schuhen nassen Lehm in der ganzen Wohnung. Den Hund muss ich nun auch für geraume Zeit in der Wohnung halten, denn er hat Gefallen daran gefunden, sich im frisch ausgesäten Grassamen zu wälzen. Bei uns grassieren Bauchschmerzen und Kopfweh. Erst hat es mich gepackt (von Sonntag bis heute), jetzt liegt Johanna flach. Leider habe ich auch mein letztes Chorkonzert am Sonntag mit Bauchschmerzen über die Bühne gebracht. Mein geliebter Chor aus Rom war mir nämlich auf halber Strecke entgegen gekommen, und so haben wir in Arce, einem kleinen Bergnest in der Nähe von Frosinone gesungen. Da das Konzert erst am Abend stattfand, sind meine liebsten Freunde aus dem Chor schon mittags angereist, so dass wir einen schönen Tag gemeinsam verbringen konnten, ( wenn da nicht meine verdammten Bauchschmerzen gewesen wären). Ich habe einen neuen Chor. Hat aber auch lang genug gedauert, dass ich einen neuen gefunden habe. Ich bin seit gestern Abend in den illustren Kreis der ‚Cantori di Posillipo‘ aufgenommen. Und das Beste ist, dass schon nächsten Freitag mein erstes Konzert sein wird. Wenn ich es richtig verstanden habe, findet es in der Kapelle der Heiligen Barbara im Castel Maschio Angioino, auch Castel Nuovo genannt. Wir werden das(?) Gloria von Vivaldi und die Fantasie Opus 80 von Beethoven zu Gehör bringen. Seit ein paar Tagen toben über Italien die alljährlichen Oktoberstürme. Ich bin gestern Nachmittag um drei Uhr in einen hurrikanartigen Wolkenbruch geraten – so was kannte ich bis jetzt nur aus dem Fernsehen. Der Wind peitschte den Regen von unten den Hang herauf, dass ich große Mühe hatte, den Wagen auf der etwas engen Küstenstraße von Pozzuoli zu halten. Bäume wurden entwurzelt, Mülltonnen kullerten über die Strasse, einmal gab es einen Stau, weil eine Straßenlaterne umgeknickt über der Fahrbahn hin und nur noch von einem Müllcontainer gestützt wurde. Es gab nur wenige Mutige, die unter der Laterne herfuhren, darunter ich, denn ich musste die Kinder von der Schule holen. Das Regenwasser konnte bei der Menge nicht in den verstopften Gullys versickern und rauschte deshalb als reißender Bach mit mir die Serpentinen nach Neapel hinunter. Reklameschilder lagen auf der Strasse und was sonst noch nicht niet- und nagelfest war. Heute morgen musste ich in der Zeitung lesen, dass ein Toter aufgrund des Unwetters zu beklagen sei. Heute sind wir dem Kaufrausch erlegen. Es wird langsam kühler und man bekommt Lust auf herbstlichere Kleidung. Im Navy-Exchange der Nato haben wir Shopping ‚alla Americana‘ gemacht. Mit dem Einkaufswagen alle Abteilungen abgrasend, haben wir die ganze Familie eingekleidet. Schuhe, Hosen, Hemden, Pullis, Socken, Halloweenmaske, Zahnpasta … ein Rundumschlag eben. Als wir dann gegen zwei Uhr, nach dem Besuch des Fastfoodladens, auch noch in ein ganz normales italienisches Spielwarengeschäft gehen wollten, wurden wir unfreiwillig daran erinnert, dass die Italiener eine lange Mittagspause machen, um dann von halb fünf am Nachmittag bis in die Puppen zu öffnen. — Neues Thema: Schule. Gestern stand in der Zeitung (Lokalteil Repubblica), dass die Schulen in besonderen Risikogebieten (Gewalt, Drogen, Armut..) besondere Zuwendungen, d.h. auch höhere Lehrergehälter (Gefahrenzulage), bekommen. Das sind in Neapel immerhin dreißig Schulen, die in den Genuss der Unterstützung kommen. Die Zeitungsmeldung behandelte vor allem den Protest anderer Schulen, die sich auch zu den Risikoschulen zählen und sich zu unrecht von den Zuwendungen ausgeschlossen fühlen. Um 12 Uhr mittags hatte ich eine Sonderprobe mit Orchester für das Konzert am Freitagabend. Was lag näher, als die ganze Familie mit nach Neapel zu nehmen? Sie vertrieben sich die Zeit in der schönen Villa Communale, dem öffentlichen Parks Neapels direkt am Wasser. Dort gibt es einen Rollschuhplatz, man kann Fahrradrikschas für die ganze Familie ausleihen, es gibt Spielplätze und nette Lokale. An diesem Sonntag gab es auch einen Antiquitätenmarkt. Ich habe ein paar Bilderrahmen erstanden, denn unsere Wohnung ist doch immer noch sehr kahl. Es war ein komisches Wetter für Ende Oktober. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass man den Eindruck bekam, das Wasser würde am Körper kondensieren. Dabei war es warm wie in einer Waschküche. Bei der kleinsten Bewegung brach man in Schweiß aus. Auch die Chorprobe in dem kleinen Saal, der sonst gerade für den Chor ausreicht, war heiß und stickig. Der Chor quetschte sich an die Wand, während der Rest des Raumes vom ziemlich großen Orchester ausgefüllt wurde. Ich kam direkt hinter den Oboen zu stehen und auf diese Weise schnell ins Gespräch. Die Musiker waren zum größten Teil Mitglieder des Orchesters der Oper San Carlo. Als der zweite Oboist hörte, dass ich auch Oboe spiele, gab er mir zu meinem größten Erstaunen seine Oboe und ließ mich darauf spielen. Ich würde mein Instrument an niemanden verleihen, und auch der erste Oboist schaute ein wenig verständnislos. Oktober?? Hier ist ein Wetter wie im schönsten August in Deutschland, und das schon seit einer Woche. Gestern Abend waren es in Neapel Stadt um 23 Uhr am Wasser immer noch 24 Grad Celsius – und das bei wolkenlosem Himmel. Und feucht ist die Luft – irgendwie waschküchig. Sobald man einen Handschlag zu viel tut, bricht der Schweiß aus. Die große Wärme soll auch dafür verantwortlich sein, dass der Vesuv ab und zu mal rumpelt. Heute war es wieder soweit. Ich werde berichten. Das Konzert in Santa Barbara war schön und anstrengend. Es war ein sehr warmer Abend und unter den starken Scheinwerfern, die die Bühne beleuchteten, war es wie in einer Sauna (Chorkostüm: langer, schwarzer Rock, schwarzer Pulli und schwarzer Seidenponcho noch darüber). Auf der Fahrt zum Castel Nuovo, in dem die Kapelle liegt, bekam ich zum ersten Mal wirklich das harte Brot des neapolitanischen Straßenverkehrs zu schmecken. Ich hatte ein Stunde für die Fahrt, die normalerweise eine halbe Stunde dauert, veranschlagt. Aber schon bei der Einfahrt in die Stadt musste ich erkennen, dass die Situation am Freitagabend doch ziemlich schlimm ist. Ich hatte es eilig und es war ein bisschen wie Krieg um den besten Platz an der Ampel. es war ein einziges Gerangel und Geschiebe in drei- bis vierspurigen Reihen, obwohl höchstens zwei Reihen vorgesehen waren. der Zeiger der Uhr rückte bedrohlich auf sieben Uhr zu, obwohl ich noch nicht einmal den Tunnel unter dem Bergrücken Posillipo hindurch war, der wie ein Riegel zwischen uns und Neapel liegt. Da kam es dann, dass ich beim Manövrieren vor einer Ampel die Stoßstange eines Taxis berührte und sie einmal von vorne bis hinten an unserem Auto vorbeischrammen ließ. Das meiste waren zum Glück Abriebspuren, die sich am nächsten Tag gut beseitigen ließen. Blöder war, dass ich die Sache nicht ganz so ernst nahm wie der Taxifahrer, der mich im Tunnel überholte und zum Halten zwang. Er war ein wenig aufgebracht, dass ich nicht von mir aus angehalten hatte (die Eile!), aber als er sah, dass eigentlich nur mein Auto den Schaden hatte, ließ er mich ganz freundlich weiterfahren. Nach alledem kam ich dann mit zwei Minuten Verspätung im Burghof des Castellos an. Ich hatte einen Freund aus Rom dabei, den ich kostenlos unter die Zuschauer schmuggeln wollte, denn Eintrittskarten gab es schon längst keine mehr. Er durfte zwar hinein, aber doch nicht so ganz umsonst – er musste das ganze Konzert auf der Videokamera des Chores filmen. Am Ende des Abends, den er nur durch den Sucher der Kamera erlebt hat, beklagte er sich über einen steifen Arm. Thema Müll. Von Mülltrennung hat man hier allenfalls schon mal aus dem Fernsehen gehört – es soll ja entfernte Länder geben, die so was versuchen. Hier wird der Müll folgendermaßen entsorgt: man sammelt alle entstandenen Abfälle in einem großen Sack. Wenn er voll ist, kommt er auf den Hof oder auf den Balkon. Dort wartet er mit seinesgleichen auf das Wochenende. Am Samstag lädt der neapolitanische Familienvater alle Säcke (es sind mindestens 5) auf den Dachgepäckträger seines Autos und fährt alles bis zu den nächsten Gemeinschaftsmülltonnen, die an den größeren Strassen am Straßenrand stehen. Dort stellt er erleichtert fest, dass er nur noch 2 bis 3 Säcke in die übervollen Container stopfen muss, da die anderen schon während der Fahrt heruntergefallen sind. Die eigentliche Mülltrennung geschieht hier nachts. Dann kommen die Straßenhunde und reißen die Säcke auf, um Essbares von Ungenießbarem zu trennen. Seifenoper ’neues Haus‘ – zigste Folge: seit Wochen haben wir immer mal wieder Regen. Das bedeutet in Neapel ganz konkret: Wolkenbrüche, Sturm und Gewitter. Es regnet nie lange, aber immer die Niederschlagsmenge einer Wochenration in Deutschland. Dass dabei jedes Mal unser Garten wegge- und unterspült wird, daran habe ich mich schon längst gewöhnt. Übler ist, dass auch die Strasse vor dem Haus, die keine ist, immer tiefere Canons bildet. Leider ist es wieder einmal mir und nicht Michael passiert: ich bin mit Wucht von einem Schlammhügel abgerutscht, mit dem Auto, wobei der vordere Spoiler völlig aus seinen Angeln gehoben wurde und nun verbogen ist. Zusammen mit den anderen ‚kleinen‘ Schäden am Haus brachte das das Fass zum Überlaufen. Wir haben den Vermieter zu uns nach Hause bestellt, damit er sich die Mängel einmal selbst besieht und vor allem meinen Unmut zu spüren bekommt. Der Termin wurde für heute morgen um zehn angesetzt. Der Vermieter kam pünktlich, mein Mann nicht (er sollte unbedingt dabei sein.) Ich habe meinen ganzen Frust vom Hals geschimpft, dabei versucht freundlich zu bleiben. das ist gar nicht so einfach, wenn man wütend ist und auch noch in einer Fremdsprache schimpfen will. Außerdem sind freundliche Deutsche für Italiener schon unter normalen Umständen nicht freundlich genug. Das Ergebnis: eventuell gibt es nächste Woche eine Strasse, die Schäden am Auto zahlt niemand, und wenn mir das Haus nicht gefällt, dann kann ich ja in ein anderes ziehen. Die Blüten der Engelstrompeten bekommen langsam braune Ränder, sie welken; am Wege blühte mir heute Morgen eine frische Rose. Gestern Abend versank die Sonne nach einem strahlenden Tag blutrot im Meer (bei Capri). Endlich ist wieder schönes Wetter! Im Laufe der Woche gab es neue Entwicklungen in der Fortsetzungsgeschichte „Neue Straße“. Erst setzte das Auto einer Bekannten auf einem großen Stein mitten in Strasse auf, als sie mir die Kinder von der Schule nach Hause bringen wollte. Zum Glück hatte ich wie so oft Handwerker im Haus, die uns halfen, das Auto wieder flott zu bekommen. Das Wunder ist geschehen: wir haben eine richtige Strasse, eine glatte Teerdecke, vor dem Haus! Dienstag, 30. November Heute morgen muss ich die Kinder in die Schule fahren. Es ist herrliches Wetter – zum Fotografieren schön, aber leider habe ich die Kamera nicht dabei. Chorabend. Ich verlasse um 19 Uhr zwanzig das Haus. Zeit genug um gemütlich durch den Abendverkehr in die Stadt zu gondeln. Um es noch schneller zu machen, nehme ich die Tangenziale, will in Fuorigrotta ‚runter, um die Vororte zu umfahren. Das kostet ein wenig Geld, aber spart eine viertel Stunde. Doch schon nach der ersten Abfahrt (Agnano) ein Stau! Man schiebt sich vier- bis fünfreihig, wo sonst nur drei Spuren flotten Verkehr gewährleisten. Dazwischen Abschleppwagen, Polizisten mit Blaulicht. Sicher ein Unfall. Einer? Nein, gleich mehrere. Meistens hässliche Auffahrunfälle mit Blechschaden. Aber das ist nicht der Grund für das Chaos. Unser Haus ist heute Abend Austragungsort für einen „internationalen“ Kochwettbewerb. Roberto und Lilia kommen aus Rom und kochen piemontesische Vorspeisen – wobei Roberto kocht und Lilia die Handreichungen macht. Die Küche verwandelt sich ab zehn Uhr morgens in ein Schlachtfeld. Eine „bagna caôda“ auf gedünstetem Gemüse und eingelegte Anchovis sind das köstliche Ergebnis. Unsere Nachbarn Franco und Patrizia, beide 100% Neapolitaner, zaubern aus Kalamares, Sahne und Nudeln eine sogenannte Papardella als primo – also die erste Hauptspeise, die in Italien immer ein Nudel- oder Reisgericht ist. Wir Deutschen steuern den zweiten Gang (secondo) und den Nachtisch bei. Wir garen einen Rollbraten in der Bratfolie, mit beigelegten Zwiebeln und Rosmarinnadeln. Einfach aber sehr effektiv – wahrhaftig deutsch! Dazu gibt es grüne Bohnen mit Speck und Tomaten. Den Nachtisch, eine Bayerische Creme alla Orange, habe ich schon am Vortag in aller Ruhe zubereitet. Dazu kann ich keine Zuschauer gebrauchen. Stadtführung Es ist neun Uhr morgens und Neapel liegt mir zu Füßen. Die Morgensonne liegt auf dem Posillipo und wärmt freundlich die beiden Zeitreisenden durch die Geschichte der Stadt Neapels, die an diesem Januarmorgen das Herz Partenopes suchen. Ich habe einen kundigen Führer zur Seite, der sich schon seit vielen Jahren mit der Stadt beschäftigt hat, und der mir den freundlich-chaotischen Koloss näher bringen will. Da unten liegt sie, die wimmelnde Großstadt, eingezwängt zwischen die Hügel des Vomero und dem Meer. Wo das Castel dell’Ovo im Wasser zu schwimmen scheint und auf dem Felsen (Pizzo Falcone) gegenüber, hat alles angefangen. Etwa im 8. Jahrhundert vor Christus gründeten Griechen dort eine Stadt und nannten sie Partenope. Nach dem Krieg mit den Etruskern konnten die Griechen aus dem nahen Cumae, welches die erste griechische Siedlung auf dem Festland war, nach dem sie schon lange auf Ischia und Procida ansässig waren, zwar die Oberhand behalten – jedoch war Cuma so zerstört und geschwächt, dass man sich unweit der alten Stadt, nun Paleopolis genannt, ansiedelte. – Neapolis, die neue Stadt, wurde gegründet. Nach heimatlichem Vorbild legte man etwa 470 v. Chr. ein regelmäßiges Straßennetz an, welches noch heute das Bild der Altstadt Neapel bildet. Drei Decumani verlaufen in Nord-Südrichtung und werden von circa zwanzig Cardines in ostwestlicher Richtung geschnitten. Die Besiedelung der Stadt nimmt im Laufe der Jahrhunderte das ganze Tal ein, bis hinauf auf den Vomero, die Hänge des Vesuvs und machte zuletzt nicht einmal Halt vor dem schönen Posillipo, der mittlerweile auch bis auf den letzten Meter vielstöckig bebaut ist. – Einst ein Ort der Ruhe, Erquickung und Meditation (Pausilypon (griech.) = ohne Schmerzen), ist er selbst heute noch von atemberaubender Schönheit. Erst relativ spät, im 18. Jh., ließ Karl III. das Ufer vor der Riviera di Chiaia aufschütten und die Villa Reale anlegen, der Park, der heute zur Vorzeigegrünfläche, der Villa Comunale, geworden ist. Zu allerletzt und aus der Not der Verkehrs- und Bevölkerungsdichte heraus , wurde die Straße direkt am Ufer, vor dem Park und zwischen Castel dell’Ovo und Pizzo Falcone gebaut. Man muss bedenken, dass Neapel Europas dichtbesiedelste Großstadt mit den wenigsten Grünflächen ist. Bevor es jedoch so weit war, kamen erst die Römer, dann die Normannen und später die Spanier und wurden die Herren der Stadt. Direkt an den Rand der Altstadt ließ der spanische Vizekönig Don Pedro de Toledo 1536 die Via Toledo anlegen. Jenseits davon ließ er Wohnungen für seine Soldaten errichten: das spanische Viertel, die Quartieri Spagnoli. Es heißt, er wäre bei der Verteilung der Wohnungen so vor gegangen: die Männer stellten sich auf einem Platz an der Via Toledo auf und mussten sodann auf Kommando loslaufen. Jeder bekam die Wohnung, die er zuerst besetzen konnte. Noch heute sagt man in Neapel: „Wer zuletzt kommt, wohnt schlecht.“ |
Wir sind mittlerweile trotz der vielen Erklärungen durch das Fischerdorf Chiaia den Posillipo heruntergestiegen, haben bei Mergellina (aus dem Französischem = merveilleuse / wunderbar) gefrühstückt und sind mit dem Bus R3 an den schönen Häusern der Riviera di Chiaia entlang zur Mole Beverello gelangt. Sie hat ihren Namen von einer Trinkwasserquelle, die in der Nähe des Castel Nuovo sprudelte. Die Schiffe konnten so direkt am Hafen ihre Süßwasservorräte auffrischen. Manchmal führt die Quelle jetzt noch Wasser.
Der Bus hält an der Via Toledo und hier endet auch der vogelperspektivische Überblick über die Stadt. Wir tauchen nun direkt mit der Nase in den alten Kern, der die Zeitläufte fast unbeschadet überstanden zu haben scheint. Mit der Nase? Nein – mit allen Sinnen muss man Neapel erfassen; das Gewimmel sehen, riechen, hören und begreifen. Ja, sogar die Füße tragen mit dazu bei, die Geschichte zu verstehen, wenn sie das Pflaster aus Pipernum betreten – den schwarzen Vulkanstein, mit dem so vieles hier erbaut wurde und einen schönen Kontrast zum Tuffgestein bildet, aus dem die Stadt ansonsten besteht. Es handelt sich dabei um Lavaasche vom Vesuv, von einem nachfolgenden Ausbruch überdeckt und unter hohem Druck und Hitze zu festem schwarzen Stein geworden. Auch für die sogenannte Diamantquaderfassade der Kirche Gesu Nuovo, vor der wir mittlerweile stehen, wurde es verwendet. Diese, eigentlich in Florenz gebräuchliche Art der Fassadengestaltung, gibt es in Neapel nur hier und an einem Palazzo an der Via Toledo. Auch Gesu Nuovo war einmal ein Profanbau, gehörte zum Palazzo Sanseverino aus dem 15. Jh., wurde aber im 17. Jh. zur Kirche umgebaut, wobei die Fassade in den Bau integriert wurde. Im Innern, das meiner Meinung nach ziemlich unübersichtlich eingerichtet ist, finden sich wunderbare Marmorarbeiten und ein großes Fresko von Francesco Solimena von 1725. Vor der Kirche leuchtet mitten im Grau der Gassen die Guglia dell’Immacolata in der Sonne. Sie wurde im 18.Jh. aus Dankbarkeit für die wunderbare Errettung der Bewohner eines Hauses an diesem Platz aufgestellt. Ein Priester, der in diesem Haus wohnte, hatte im Traum den Einsturz des Palastes gesehen und es evakuieren lassen – gerade rechtzeitig.
Wir schlüpfen nun am großen Turm der Kirche Santa Chiara vorbei in die Spaccanapoli ein, die unterste (inferiore) der drei alten Decumani. Eng und schnurgerade scheint sie Neapel zu spalten – daher der Name. Und nun sind wir umringt von Geschichte – als könnte jeder Stein sprechen. Ich muß mich beschränken, etwas aus der Vielfalt auszuwählen, so schwer es mir auch fällt. Besonders schön und seltsam finde ich die Kirche San Domenico Maggiore, von der wir auf der gleichnamigen Piazza nur die Apsis erblicken, die unweigerlich an maurische Einflüsse denken lässt. Die Kirche wurde im Jahre 1283 von Karl I. von Anjou erbaut und ist eigentlich gotischen Stils, der jedoch so oft umgebaut wurde, dass man eben auch eine maurische Apsis finden kann. Im Innern findet sich ein Bildnis des gekreuzigten Christus, das mit Thomas von Aquin geredet haben soll, der hier zwei Jahre im angrenzenden Kloster gelebt hat. Ganz weltlichen Genüssen kann man sich gegenüber der Kirche in der Pasticceria Scaturchio hingeben, angeblich eine der besten der Stadt.
Wir lassen den Platz mit der großen Guglia di San Domenico, die nach der Pest von 1656 errichtet wurde, hinter uns und schlüpfen in die kleine Kirche Sant’Angelo a Nilo. Hier findet sich das Grabmal Kardinal Brancaccios, welches aus der Schule Donatellos stammt, der 1426 eigenhändig das Basrelief vorne am Sarkophag schuf, und nach Neapel schickte.
Weiter geht es die Straße hinauf in den Innenhof der Monte di Pietà. Aus dieser barmherzigen Einrichtung für Opfern von Geldverleihern aus dem 16. Jh. geht die Banco di Napoli hervor, die hier noch immer ihren Stammsitz hat.
Ein weiteres Kleinods Neapels liegt ein paar Strassenecken weiter. In der Via Francesco de Sanctis Nr. 19, etwas unscheinbar in einem normalen Wohnhaus, finden wir den Eingang zur Cappella Sansevero. Die kleine Familienkapelle derer von Sansevero wurde im 18. Jh. von Raimondo di Sangro, Prinz von Sansevero, geplant. Der realtiv kleine, jedoch üppig ausgestattete Raum wirkt nahezu mystisch. Da der Prinz Mitglied der Freimauerer war, finden sich für den kundigen Betrachter eine Fülle von Freimaurersymbolik in den Kunstwerken und sogar auf dem Fussboden. Besonderer Anziehungspunkt der Kirche ist der Verhüllte Christus (Christo velato), der aus einem Marmorblock gehauen, auf dem Sarkophag in der Mitte der Kirche liegt. Wie durch einen Schleier sieht man den Körper hindurchscheinen – und bis heute gibt dieses Kunstwerk von Giuseppe Sanmartino (1720 -93) Anlass zu vielen Spekulationen. Ebenso phantastisch ist die Marmorfigur eines Onkels von Raimondo, der sich aus einem geknoteten Netz herauswindet. Auch dies ein Meisterwerk der Marmorbearbeitung, deren Ausführung man sich nicht recht erklären kann.
Bevor wir die Kapelle verlassen, kommen wir durch die sogenannte Krypta, in der hinter Glas zwei Skelette aufgbewahrt werden, deren Adern- und Venengeflecht seit dem 18. Jh. vollständig erhalten geblieben ist. Auch dies unerklärlich. Alchemist und Wissenschaftler Raimondo di Sangro wird nachgesagt, mit dem Teufel im Bunde zu stehen – und an manchen Abenden soll man ihn noch mit seiner sechsspännigen Kutsche über den Himmel des Golfs von Neapel geistern sehen können.
Es ist inzwischen fast Mittag geworden, Zeit für einen zweistündigen Abstecher in Neapels „Unterwelt“ (Napoli Sotterranea). Neben der Kirche San Paolo Maggiore ist einer der Eingänge, von denen geführte Besichtigungen des unterirdischen Neapels gemacht werden können. Da die Stadt schon immer aus dem Tuff, auf dem es steht, errichtet wurde, erstreckt sich unter der Stadt, wie ein riesiger Ameisenbau, ein ebenso faszinierendes und chaotisches Gänge- und Kanalsystem, wie darüber. Höhlen, Tunnel, Zisternen und Gänge, die teilweise bis in die ersten Anfänge der Stadt zurückreichen, gilt es zu entdecken. Fast jedes Haus der Stadt besitzt einen Zugang in Form eines Brunnenschachtes in dieses versteckte Universum. Die Zisternen dienten seit Tausenden von Jahren als riesiges Wasserreservoir der Stadt.
Die Disziplin der Neapolitaner ließ leider schon damals zu wünschen übrig. Es war einfach zu bequem, jedweden Müll in die Schächte unter den Häusern zu werfen, und so kam es 1680 zu einer verheerenden Choleraepidemie. Danach ließ man ein Aquädukt aus den Bergen von Avellino herführen, um die Stadt mit unverseuchtem Trinkwasser zu beliefern. Zu neuem Nutzen kamen die trocken- und freigelegten Gänge und Räume im 2. Weltkrieg, als man Luftschutzkeller für die Bevölkerung benötigte. In diesem Zusammenhang wurden richtige Treppen nach unten gehauen, von denen wir jetzt als Besucher profitieren. Unten lassen uns die großen, alle mit der Hand und primitivem Werkzeug aus dem Stein gehauenen Räume erstaunen. Sie wurden zu dreiviertel mit wasserundurchlässiger Farbe gestrichen, damit das gesammelte Wasser nicht im Tuff versickerte. Aber da gibt es auch Gänge, durch die man kaum aufrecht und oft nur seitlich gehen kann. Ausgerüstet mit Kerzen zwängen wir uns durch die schmalen Schlitze und hoffen, nicht verloren zu gehen.
Gehen, Schauen und Begreifen macht hungrig. Eine klassische Pizza guter neapolitanischer Qualität muss her. Direkt unter der Port’Alba, einem der alten Stadttore, werden wir fündig. Hier in guter Nachbarschaft mit Buchläden und kleinen, aber feinen Verlagshäusern, finden wir mit knapper Not einen Tisch „La vera Pizza Napoletana!“. Leider haben wir sehr lange auf die Pizza warten müssen. Aber so konnten wir das bisher Erlebte noch einmal Revue passieren lassen und uns auf das Kommende vorbereiten.
Als nächstes geht es wieder ein paar Stockwerke tiefer, diesmal unter die Kirche San Lorenzo Maggiore, wo sowohl Häuser und Strassen aus römischer als auch griechischer Zeit zu sehen sind. Im Kreuzgang des Klosters wird gerade das römische Macellum – der Markt – weiter ausgegraben. Dann steigt man in den Keller darunter und steht noch eine Etage tiefer in den Strassen des griechischen Neapolis mit Handwerkerhäusern. Die einzelnen Epochen kann man sehr schön an den verwendeten Steinen und ihrer Anwendung ablesen.
Zum Abschluss dieses, an Eindrücken übervollen Tages, schauen wir uns Neapel noch einmal von ganz hoch oben an. Wir fahren mit dem Fahrstuhl auf die dreißigste Etage des Hotel Jolly, wo das Restaurant zu finden ist. Dort kann man den Ausblick auf ganz Neapel zu den normalen Essenszeiten geniessen – oder auch außer der Reihe, wenn man die freundlichen Herren an der Rezeption zu überzeugen weiss, dass es für die deutsch-italienischen Beziehungen von ausgesprochener Wichtigkeit ist.
🙂
Posillipo
9 Uhr morgens in der Sonne auf dem Posillipo, genauer im Parco Virgiliano, der ganz oben auf dem schönen Felsenriegel liegt. Ich sitze auf einer Parkbank. Die Rückenlehne fehlt zwar, meine Füße stehen in hohem Unkraut zwischen dem Müll eines halben Jahres, aber was will das schon ausrichten gegen die Schönheit, die die Sinne überflutet wenn man umherblickt?
Vielleicht halten wir in Deutschland unsere Parks so sauber, weil der Park das Schönste ist, was es dort zu sehen gibt? Hier ist der Park völlig unwichtig; er verteidigt nur den Standort gegen Wohnungsbau und Verkehr. Hier schweift der Blick frei in die Gegend, und das Herz wird weit vor Staunen und Andacht über so viel Schönes, dass schon seit Urzeiten hier gewesen sein muss – der Mensch und der Müll spielen hier die kleinste Rolle. Vielleicht wird er eines Tages wirklich nicht mehr sein und das letzte Stück Plastik ist verrottet – doch diese Landschaft wird weiter bestehen, immer schön, ohne einen Zweck zu verfolgen. Wer sich hier vor fast 3000 Jahren ansiedelte, muss schon denselben Schmerz über soviel Schönheit in der Brust gefühlt haben, und es wundert mich kein bisschen, dass hier schon gesungen, gedichtet und gemalt wurde, als der Rest Europas noch in Höhlen lebte.
Was ist es denn nun, was mich zu solchen Worten hinreissen lässt? Es ist schwer auszudrücken, ohne dass es kitschig klingt.
Pinien bilden den Rahmen für das Bild, in dem ich sitzen darf. Zu Hören ist nur das Tuckern der Fischerboote und Vogelgezwitscher. Vor mir liegen steilabfallende Tuffsteinhänge im Sonnenlicht, mit Büschen und indischen Feigenkakteen überberwuchert.
Eine Etage tiefer verteilen sich wie auf einer Hochebene die Villen des Posillipo inmitten grüner Gärten. Darunter die Bucht von Neapel, über der eine Dunstschicht liegt und den Blick auf das Gewirr der Großstadt verwehrt. Eine Fähre durchpflügt mit weißer Bugwelle das Merr, als hätte ein Maler noch einen Farbtupfer hinzufügen wollen. Über allem, immer noch im Pinienrahmen, scheint der Vesuv wie losgelöst zu schweben: schwarz und majestetisch, Wächter und Bedroher zugleich. Dahinter leuchtet, schon in einem anderen Licht, die Bergkette Avellinos mit schneebedeckten Kuppen. Lasse ich den Blick ein wenig nach rechts schweifen, werden die Augen vom goldenen Streifen geblendet, den die Sonne auf das Wasser appliziert. Die Berge der Halbinsel von Sorrent bilden den Rand des Bildes, als hielten sie das Wasser im Golf von Neapel. Und ganz am Ende ahnt man nur im Dunst die Umrisse Capris, die mit zunehmendem Sonnenstand immer schwerer auszumachen sind.
Ein neugieriges Rotkehlchen wagt sich immer näher zu mir, und die Sonne brennt mir auf den dicken Winterpullover, der wohl nötig ist, bei Lufttemperaturen um die Null Grad, was für dieses sonnen- und temperaturverwöhntes Land doch extrem niedrig ist.
Wer sich traut, über die Mauer zu klettern, die den Park begrenzen, sieht tief unter sich Felsen und Riffe im klaren Wasser liegen, durchbrochen von Höhlen und Ausspühlungen. Zwischen den Steilwänden leuchten halbmondförmige Strände, die unerreichbar scheinen.
Eine weiter Vierteldrehung nach rechts in diesem Diorama, und wir schauen auf einen anderen Golf, jenen von Pozzuoli. Eingefasst wie ein Edelstein von Nisida bis zum Capo Miseno; dahinter Procida und hochaufragend Ischia. Und als wäre der Wasserstand verschieden hoch, leuchtet am Horizont der blaue Streifen des offenen Meeres, genannt das Tyrrhenische.
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Schwärme ich zu sehr? Sehe ich alles zu positiv?
Nein – ich sehe auch den Müll und ärgere mich darüber. Ich sehe auch die Schwierigkeiten der kleinen Leute, die kaum Geld für die Heizung haben und Tag für Tag eine neue Einnahmequelle suchen müssen. ich sehe den chaotischen Verkehr in deiner Stadt ohne Ausweichmöglichkeiten, die baufälligen Häuser, die vielen Bettler und wieder und wieder den Müll. ich habe selbst mit den Mühlen der Verwaltung zu kämpfen und verstehe vieles nicht, weil ich doch nur Gast bleibe. Aber ich stehe ehrfürchtig vor dieser uralten Kulisse, in der sich seit tausenden von Jahren große und kleine Schicksale abspielen. Und ich bemerke den Stolz selbst der ärmsten der Armen; seine Würde aus dem Bewusstsein von edelster Rasse zu sein. Salopp gesagt, habe ich den Eindruck, als lebe man hier nach dem Motto: „Wenn es mir schon schlecht geht, dann danke ich Gott, dass ich wenigstens in Neapel leben darf.“
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