Eingang Leipziger Buchmesse
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Nachlese zur Leipziger Buchmesse ’24

Zwei Tage Buchmesse – Donnerstag und Freitag – kleines Hotel zentral in der Stadt – so mache ich es immer.

Warum fahre ich zur Buchmesse? Um Bücher zu entdecken? Kaum. Dafür ist die Messe zu groß, der Andrang an den Ständen überfüllt. Ich scheue die Menge, das liegt mir nicht.

Nein, für mich ist der Messebesuch dann ein Erfolg, wenn ich Menschen treffe. Einzeln. Fast privat.

Ein Treffen zwischen denen, die ein Thema teilen oder etwas zu erzählen haben. Ein Treffen von Buchmenschen.

Für mich sind Bücher und Literatur deshalb so faszinierend, weil sie auf überschaubarem Raum die ganze Welt, alle Themen, alle Ansichten enthalten. Und – jedenfalls noch – sind sie von Menschen geschrieben. Die über all das, was sie bewegt, schreiben wollten oder mussten.

Diese Messe im Frühjahr 2024 in Leipzig war für mich ein voller Erfolg! Nachdem ich schon oft auf Buchmessen war, die mich am Ende etwas enttäuscht zurückgelassen haben, weil ich zu viel gewollt und zu viel Programm absolvieren wollte, habe ich es in diesem Jahr richtig gemacht.

Drei bis vier Programmpunkte im voraus ausgesucht, davon drei geschafft und dazwischen Zufallsbegegnungen zugelassen. Und Pausen eingebaut! So lautet ab sofort mein Rezept für eine gute Buchmesse. Ach ja – abends dann ein Programmpunkt in der Stadt aus der Fülle des Angebots von „Leipzig liest“.

Collage Leipziger Buchmesse abgebildet: Bettina Baltschev; Margot Dijkgraaf; Anna Eble; Jan Konst
Begegnungen mit Bettina Baltschev und Margot Dijkgraaf, Anna Eble, Jan Konst

Ich bin pünktlich zur Eröffnung des Messestands der Gastregion Niederlande & Flandern. Ein erster Blick über die schönen Bücher, die ins Deutsche übersetzt wurden, ein Bad in der Menge und dann geht’s los.

Bettina Baltschev und Margot Dijkgraaf, die beiden Kuratorinnen des Gastlandauftrittes, begrüßen das interessierte Publikum – viele wichtige geladenen Gäste, Journalist*innen und ich 🙂 Link –>

Neben den nötigen Reden lockern Mathijs de Ridder und Anna Eble mit einem niederländisch und deutsch vorgetragenen Gedicht aus dem Band von Paul van Ostaijen „Besetzte Stadt“ die Stunde künstlerisch auf. Viel Applaus! Link–>

Jan Konst stellt den von ihm mit herausgegebenen Essayband „Alles außer flach“ vor, der extra für den Gastlandauftritt entstanden ist. In diesem Band stellen mehr als fünfundzwanzig Niederlandist*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz neue deutsche Übersetzungen vor: Romane, Kinder- und Jugendliteratur, Graphic Novels, Sachbücher und Lyrik. Link—>

Alles außer flach“ – Link zum Webauftritt der Gastregion Niederlande & Flandern

Anschließend besuche ich den Stand des IIC Berlin (Istituto Italiano di Cultura di Berlino), der schonmal einen Vorgeschmack auf den Gastlandauftritt Italiens bei der Frankfurter Buchmesse im Herbst ’24 bringen soll. Ich finde einige interessante Neuerscheinungen und Neuübersetzungen.

Panel "Alles Bella Ciao?" mit Simultanübersetzer Johannes R. Hampel, Federico Tenca Montini, Barbara Anderlič, Kaja Širok, Simultanübersetzerin ? , Jernej Šček
Panel „Alles Bella Ciao?“ mit Simultanübersetzer Johannes R. Hampel, Federico Tenca Montini, Barbara Anderlič, Kaja Širok, Simultanübersetzerin ?,Jernej Šček – organisisert von traduki

Als nächstes interessiere ich mich für die Podiumsdiskussion im „Café Europa“ mit dem Titel „Alles Bella Ciao? Der italienische Faschismus, die slowenische Minderheit in Italien – damals wie heute“. Eine spannende Diskussion über die nicht verarbeitete faschistische Vergangenheit und die Greueltaten in Slowenien. Wie beide Länder, Italien und Slowenien, auf je eigene Weise heute der Geschichte gedenken.

Ende von Messetag 1 – weiter geht`s bei „Leipzig liest“:

Collage Leipziger Buchmesse abgebildet: Wladimir Kaminer; Nora Schramm; Martin Piekar
Begegnungen mit Wladimir Kaminer, Nora Schramm und Martin Piekar

Das nächste Highlight ist die Lange Leipziger Lesenacht von 18 Uhr bis Mitternacht in der Moritzbastei. Wir haben uns frühzeitig Karten besorgt und sind pünktlich zu Beginn der ersten Stunde im Oberkeller.

Hier werden ganz junge Talente vorgestellt, die mit ersten Veröffentlichungen Preise gewonnen haben. Es sind sechs junge Frauen, die ganz am Anfang Ihrer schriftstellerischen Karriere stehen. Beim Vortrag merkt man Ihnen die Aufregung und Unsicherheit deutlich an. Sie lesen zu schnell, zu leise und manches Wort ist sehr vernuschelt. Trotzdem wurde deutlich, wie kreativ junge Autor*innen sein können. Alle sechs wurden gefördert und prämiert durch das Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Treffen junger Autoren und Autorinnen“. Ich bin gespannt, ob wir dem ein oder anderen Namen demnächst wieder begegnen.

Link –>

Wir wechseln stündlich die verschiedenen Räume in der Bastei – vom Oberkeller in die Veranstaltungstonne, dann in die Ratstonne und zum Schluss ins Schwalbennest.

In der Veranstaltungstonne treffen wir Paula Fürstenberg mit Ihrem Buch „Weltaltage“ und Lana Luchs mit „Geordnete Verhältnisse“. Beides Bücher, die ich sofort lesen möchte.

Wir bleiben gleich sitzen, denn in der nächsten Stunde rocken die beiden befreundeten Autoren Martin Hyun und Wladimir Kaminer den Saal. Sie liefern mit ihrem Buch „Gebrauchsanweisung für Nachbarn“ sicher einen humorvollen Blick auf die Menschen, die uns manchmal allzu nah kommen, ohne die es aber im Leben meistens nicht geht.

In der Ratstonne erwarten uns Franziska Gänsler mit „Wie Inseln im Licht“ und Nora Schramm mit „Hohle Räume“.

Dann schaffen wir noch eine Session im Schwalbennest mit Odile Kennel und Martin Piekar. Sie gehen ganz auf in ihrer lebhaften Präsentation von moderner Lyrik. Odile Kennel spielt in ihren Texten immer wieder mit ihren beiden Sprachen französisch und deutsch. Und auch bei Martin Piekar kommt manchmal seine polnische Muttersprache zum Vorschein. Seine Texte stammen aus seinem aktuellen Buch „Livestream & Leichen“, Odile Kennel rezitiert aus „Irgendwas dazwischen“. Herrlich!

Krönender Abschluss des Abends: ein kühles Blondes an einer der Theken in der Bastei.

Collage Leipziger Buchmesse abgebildet: Tobias Nisse; Jascha Urbach; Lann Hornscheidt; Danibal (Daniel Hentschel
Begegnungen mit Tobias Nisse, Jascha Urbach, Lann Hornscheidt, Danibal (Daniel Hentschel) und auf dem Podium: Nadine Lange, Luca Mael Milsch, Maurizio Onano und Emelie Porsack

Mein zweiter Messetag ist der Freitag. Ich bin viel zu früh vor Ort. Einlass ist erst um 10 Uhr. Zum Glück kann ich in der Presselounge gemütlich warten.

Heute möchte ich vor allem die unabhängigen Verlage besuchen. Beim Schlendern durch alle Hallen wird mir klar, wie bunt und viefältig das Programm wieder ist, was sich auch daran zeigt, dass alle Generationen von Besucher*innen vertreten sind. Wobei es fast den Eindruck hat, dass mehr junge als alte Menschen die Messe besuchen. Wie immer wird das Bild von den wunderbaren Kostümen der Cosplayer bestimmt, die extra zur Manga-Convention gekommen sind, die seit einigen Jahren zusammen mit der Buchmesse veranstaltet wird. Aber auch die jungen Lesebegeisterten, meistens Frauen zwischen 18 und 35, sind nicht zu übersehen. Vor den Ständen der Young und New Adult-Verlage, bei Fantasy und New Romance, bilden sich schon morgens lange Schlangen.

Da ich Menschenaufläufe wenn möglich meide, zieht mich ein Stand an, der nur ein Fantasybuch im Angebot hat. Ich lande bei Tobias Nisse, der sein Buch „Die drei Welten“ selbst verlegt hat. Hier ist es so früh am Morgen noch ruhig, so dass wir ins Gespräch kommen. Sein Fantasyabenteuer gibt es in mehreren Ausgaben. Je nach Geldbeutel kann man das eBook, das Taschenbuch oder den Schmuckband mit wunderschönen Illustrationen erwerben.

Ein paar Stände weiter komme ich zum Gemeinschaftsstand des „Amrun-Verlags“ und des „Ach Je-Verlags“. Ich bin direkt im Gespräch mit Jascha Urbach, dem Gründer das „Ach Je-Verlags“. Hier am Stand liegen auch Hefte von „Queer*Welten“ aus, die mich besonders interessieren. „Queer*Welten“ ist ein alle sechs Monate erscheinendes queerfeministisches Science-Fiction- und Fantasy-Magazine, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kurzgeschichten, Gedichte, Illustrationen und Essaybeiträge zu veröffentlichen, die marginalisierte Erfahrungen und die Geschichten Marginalisierter in einem phantastischen Rahmen sichtbar machen.

Bei meinem Rundgang durch die Hallen stoße ich auf Danibal – eigentlich Daniel Hentschel – der für das Gastland Niederlande / Flandern das StoryScope betreut, ansonsten aber Cartoons zeichnet. Er erklärt mir ausführlich, worum es sich handelt. Wer es genau wissen möchte, schaut hier: https://www.interactive-culture.nl

Für mich persönlich, war die Begegnung mit Lann Hornscheidt am Stand des Verlags w_orten & meer ein besonderes Highlight. Lann ist mir in meinem Prozess des Coming Out als nicht binärer Mensch ein großes Vorbild. Lann persönlich zu treffen, hat mich glücklich gemacht. Vor allem ens Buch „Exit Gender“ hat mich bestärkt und mich ermutigt, auf meinem Weg weiter zu gehen.

Das von Nadine Lange moderierte Panel: „Vielfalt zwischen den Zeilen. Darstellungen von queeren Charakteren in Literatur und Comics“ mit Luca Mael Milsch, Maurizio Onano und Emelie Porsack passte dann auch gut zu meiner Stimmung und dem Wunsch, dass queeres Leben und Literatur selbstverständlich dazu gehört und sichtbarer wird.

Collage Leipziger Buchmesse 24 abgebildet: Laura Lippmann
Abendprogramm im Bach-Archiv Leipzig „Alles zum Roman La Storia – Neuübersetzungen, Gespräche, TV-Serien“ unter anderem mit Laura Lippmann

Am Abend gab es wieder eine Veranstaltung in der Stadt. Und zwar hatte das IICB (s.o.) zur Buchvorstellung und Geprächsrunde über das neu übersetzte Buch von Elsa Morante: „La Storia“ ins Bach-Archiv eingeladen. der Abend war, bis auf die eindrucksvolle Lesung aus dem Buch durch Laura Lippmann, komplett auf Italienisch. Wer wollte, konnte einen Kopfhörer mit der Simultanübersetzung von Johannes R. Hampel lauschen.

Ich zitiere hier aus der Beschreibung der Veranstalter (ich kann es auch nicht besser ausdrücken):

„Die Neuübersetzung dieses großen Klassiker des 20. Jahrhunderts von Klaudia Ruschkowki und Maja Pflug erscheint im Wagenbach Verlag, … 40 Jahre nach dem gleichnamigen Film von Luigi Comencini, wurde der Roman … als Fernsehserie in acht Teilen verfilmt.
La Storia, das ist die »große« Geschichte: die Chronik von Diktaturen, Weltkriegen und Menschheitsverbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zugleich vor allem die Geschichte der verwitweten Lehrerin Ida und ihrer beiden Söhne in den Jahren 1941 bis 1947. Nino, der ältere Sohn und präpotente Schwarzhemdträger, will in den Krieg ziehen. Der kleine Useppe, gezeugt bei einer Vergewaltigung durch einen jungen Wehrmachtsoldaten, immer heiter und neugierig, verbringt seine Tage in Gesellschaft des ebenso liebenswerten Hundes Blitz. Inmitten von Bombenangriffen, Hunger und Deportationen wächst Idas Angst, ihre jüdischen Vorfahren könnten der Familie zum Verhängnis werden.
Die italienische Autorin Nadia Terranova erzählt diesen Klassiker des 20. Jahrhunderts aus ihrer Sicht als zeitgenössische italienische Schriftstellerin. Die Schauspielerin Laura Lippman liest Seiten aus der neuen Übersetzung. Anhand des Trailers und einiger Serienausschnitte erklärt die Drehbuchautorin der in Italien sehr erfolgreichen TV-Serie Ilaria Macchia wie das große Epos der Lehrerin Ida und ihrer Kinder zu einer Erzählung in Bildern wurde.“
Ein wundervoller Abend und die ideale Gelegenheit, mein Italienisch wieder aufzufrischen. In großer Vorfreude auf die nächste Messe in zwei Wochen: die internationale Kinderbuchmesse in Bologna. Ich werde berichten.

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

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