In einer Mischung aus „Jauche und Levkojen“ von Christine Brückner und „Dick und Dalli und die Ponys“ von Ursula Bruns entwickelt Ulrike Renk im neuen Buch „Das Lied der Störche“ eine große Familiengeschichte ostpreußischen Landadels. Es beruht auf einer wahren Geschichte, welche die Autorin für ihre Zwecke verändert und verfremdet hat.
Im Jahr 1920 ist Frederike von Weidenfels 11 Jahre alt. Die Mutter heiratet zum dritten Mal, und zwar Erik von Fennhusen, ein Vetter ihres zweiten Mannes. Die Kinder Fritz und Gerta aus der zweiten Ehe tragen also schon den richtigen Namen, während Frederike quasi nicht zur Familie gehört. Das wird ihr schon früh klar gemacht und durchzieht die ganze Geschichte, die uns übrigens komplett aus der Sicht Frederikes erzählt wird. Da sich die Autorin zu diesem Stilmittel entschlossen hat und es keine übergeordnete Erzählperspektive gibt, muss Frederike ziemlich oft hinter Sesseln sitzen oder vor angelehnten Türen lauschen, sich unter das Personal mischen oder sich aus Gesprächen der Erwachsenen so einiges zusammenreimen. Sie macht sich sehr viele Gedanken und handelt durchweg als große, vernünftige Schwester, was ich der Elfjährigen nicht immer abgenommen habe.
Nachdem wir die Lebensweise eines ostpreußischen Landgutes mit Haushaltung, Viehzucht, Gartenbau und rauschenden Festen zur Zeit der Entstehung des polnischen Korridors kennengelernt haben, springt der zweite Teil des Romans ins Jahr 1928. Frederike hat gerade ihre zweijährige Ausbildung auf der Obst- und Gartenbauschule für Frauen in Bad Godesberg abgeschlossen und kehrt auf das Gut der Familie zurück. Sie ist mittlerweile 19 Jahre alt und weiß, dass sich bald entscheidet, wie es für sie im Leben weitergeht. Da sie keine Ansprüche auf ein Erbe hat, wird sie entweder heiraten oder einen Beruf ergreifen müssen. Wieder werden Jagden und Bälle arrangiert, damit sich potenzielle Heiratskandidaten finden lassen. Doch da ist schon längst Ax von Stieglitz, mindestens 12 Jahre älter als Frederike, auf den alles hinauszulaufen scheint. „Das Lied der Störche“ endet mit einem klassischen Cliffhanger, der Nachfolgeband ist schon angekündigt
Ulrike Renk versteht es, unterhaltend und kurzweilig zu erzählen. In die Geschichte eingeflochten sind viele Hinweise auf die politischen aber auch kulturellen Gegebenheiten der Zeit. So erfahren wir sowohl etwas von den Unruhen in Serbien und Kroatien, die schwierige Situation Ostpreußens hinter dem polnischen Korridor, als auch über die neuste Mode und den Musikgeschmack der 20iger Jahre. Automobile und Telefonanschlüsse werden häufiger, die Industrie wird effizienter, Elektrizität wird in fast alle Zimmer gelegt, auf der Tenne spielt das Grammophon Charlston und Shimmy. Mit mundartlichen Einfärbungen der Sprache der „Leute“, wie das Personal genannt wird, versucht die Autorin auf sympathische Weise Lokalkolorit zu vermitteln. Wie sie im allerdings im Nachwort zugibt, musste sie alles lesbar vereinfachen, „ei, obwohl mir das awwer aners ooch jut jefallen hat“.
In den Gesprächen der Erwachsenen wird die Sorge vor einem neuen Krieg nur beiläufig erwähnt. Keiner mag sich eine so schlimme Entwicklung wirklich vorstellen. Bislang kann der Land- und Hochadel sich noch voll und ganz auf das feudale Leben mit Dienerschaft und Personal für die allerkleinsten Bedürfnisse verlassen. Da wir die wahre Geschichte schon kennen, wird es Frederike im nächsten Band wohl nicht mehr so gut ergehen. Leser und Leserinnen, die gerne historische Geschichten mit Heimatbezug lesen, werden sicher voll auf ihre Kosten kommen.
Nachtrag Oktober 2017: Die Besprechung vom zweiten Band der Familiensaga „Die Jahre der Schwalben“
———–
Ulrike Renk: Das Lied der Störche. – Broschur, 512 Seiten. – Aufbau Taschenbuch
ISBN 978-3-7466-3246-9 ;12,99 € (Auch als eBook)
3 Comments
monerl
Hallo,
das ist eine schöne Buchvorstellung. Ich habe das Buch längst auf meiner WuLi. Werde mit dem Kauf aber abwarten, bis alle Teile herausgekommen sind, damit ich alles in einem Rutsch lesen kann. 🙂
Das Buch habe ich mir auch in etwa so vorgestellt, wie du es beschrieben hast.
GlG vom monerl
#litnetzwerk
Pingback:
Heike Baller
Ich hab die Weihnachtsgeschichte aus der Reihe gelesen und sie als durchaus authentisch empfunden – gerade auch durch die Sprache „der Leute“. Allerdings hab ich beim mitgegebenen Rezept so meine Zweifel gehabt; 375g bittere Mandeln sind nicht gesund 😉