Lesen und Lieben
antiquarisch,  Buchtipp

#lithund : Edgar und Almondine – ein Traumpaar

Der Hund in der Literatur #lithund

Bei Sätze&Schätze gibt es ein neues Projekt, das sich mit dem „Hund in der Literatur“ befasst. Mein erster Gedanke ging sofort zu dem phantastischen Buch von David Wroblewski „Die Geschichte von Edgar Sawtelle“, von dem ich hier berichten möchte.

Ich habe es vor einigen Jahren im englischen Original gelesen und war begeistert. Zwei Sachen sind mir im Gedächtnis geblieben. Erstens: mein nächster Hund wird nur mit Gesten erzogen. Zweitens: Warum hat Edgar seine geliebte Hündin Almondine am Ende so im Stich gelassen?

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Jetzt habe ich es noch einmal in der deutschen Fassung gelesen. Wie man oben sieht, gemeinsam mit meinem Hund Bilbo. Er wurde nicht mit Gesten erzogen, denn ich habe ihn schon sehr lange – er wird bald 16 Jahre alt. Aber ich quassel ihn seit damals nicht mehr so voll. 🙂

Edgar Sawtelle ist der Sohn von Trudy und Gar Sawtelle, die irgendwo im Mittelwesten der USA eine Hundezucht betreiben. Sie haben sie von Gars Vater John übernommen, der sich darauf spezialisiert hatte, besonders vertrauensvolle Hunde zu züchten. Das besondere an den „Sawtelle-Hunden“ ist, dass sie erst voll ausgebildet, also mit etwa zwei Jahren, an ihre neuen Besitzer abgegeben werden. Das machst sie zu besonders verlässlichen, sehr begehrten und somit auch sehr teuren Hunden.

Hundepfote / Nahaufnahme
Hundepfote / Nahaufnahme (© e_mager)

Die Hündin Almondine wird schon als Welpe ins Haus der Sawtelles geholt und dort erzogen. Als Edgar geboren wird und es sich herausstellt, dass er stumm ist, macht sie es sich selbst zur Aufgabe, ihm nicht mehr von der Seite zu weichen.

„Dies wird seine erste Erinnerung sein. Rotes Licht, Morgenlicht. Eine hohe schräge Decke. Träges Klicken von Krallen auf Holz. Zwischen den honigfarbenen Stäben der Wiege schiebt sich eine schnurrhaarige Schnauze hindurch, bis sich die Lefzen zurückziehen und eine Reihe zierlicher Vorderzähne zu einem lächerlichen Grinsen entblößen.“

Nach dem ersten Schreck, dass ihr Sohn stumm sein wird, lernt Trudy Gebärdensprache und bringt sie sowohl Edgar als auch seinem Vater bei. Edgar lernt sehr früh sich mit den Händen auszudrücken, so dass sein Handicap nicht wirklich Probleme bereitet.

Er wächst mit Almondine und den anderen Hunden auf, die in einer großen Scheune geboren und erzogen werden. Edgar wird in alle Arbeiten mit eingebunden und kann schon bald ebenfalls Hunde trainieren und für sie sorgen. Soweit ist es eine wunderbare Idylle, die sich dann aber zunehmend in eine klassische Tragödie wandelt.

Gar hat einen Bruder Claude, der den elterlichen Hof schon als ganz junger Mann verlassen hat. Nun ist er wieder da. Über das, was er in der Zwischenzeit gemacht hat, herrscht Schweigen. Er bleibt auf dem Hof und will mitarbeiten. Schon nach kurzer Zeit wird klar, dass die Brüder nicht mit einander auskommen. Es gibt ständig Streit, bis Claude in die Stadt zieht und eine andere Arbeit findet.

Bilbo (© e_mager)
Bilbo (© e_mager)

Mittlerweile ist Edgar 14 Jahre alt und darf seinen ersten eigenen Wurf Welpen trainieren. Alles läuft bestens, als er seinen Vater schwer verletzt in der Scheune findet. Außer ihnen ist niemand auf dem Hof. Da Edgar nicht per Telefon Hilfe rufen kann, muss er zusehen, wie sein Vater stirbt. An dieser vermeintlichen Schuld zerbricht der Junge fast, als ihm plötzlich sein Vater als Geist erscheint und ihm zu verstehen gibt, dass Claude ihn umgebracht hat.

Trudy, die davon nichts zu ahnen scheint, verliebt sich in Claude. Edgar ist verzweifelt. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Edgar flieht mit drei Hunden in die Wildnis, wo er ums nackte Überleben kämpft. Almondine ist zu alt für diese Anstrengungen und wird deshalb von Edgar im Stich gelassen. Ziemlich unglaubwürdig, wenn man bedenkt, welch eine Beziehung die beiden zu einander haben.

Hier möchte ich aufhören, über den Plot zu sprechen. Ich kann wirklich sehr zu diesem Buch raten, vor allem, wenn man Hunde liebt. Allerdings besteht das Werk auch ohne das. Es ist eine großangelegte Familiensaga, ein Abenteuerroman, voller menschlicher Tragödien, ein klassisches Drama. Es hat überhaupt keine Längen (was andere Kritiker allerdings anders sahen, s.u.) und gibt dem Leser die ganze Zeit Rätsel auf. Was kann man von einem Buch noch verlangen? Ach ja – ich habe es beim ersten Mal nicht gemerkt – Wroblewski hat hier den ganzen Hamlet in das Amerika der siebziger Jahre verlegt. Wer seinen Shakespeare kennt, wird es wohl sofort bemerken. Ich konnte den Roman auch ohne diese zweite Spur genießen.

Zu den etwaigen Längen, die von einigen Kritikern bemängelt wurden: sicher hätte man weite Teile des Buchs kürzen können, z.B. wenn sich Edgar mit drei seiner treuen Hunde monatelang im Wald versteckt und sie sich von den Konserven aus Ferienhütten ernähren; vielleicht hätte man Naturbeobachtungen und Tierstudien weglassen können. Ich finde jedoch, es gehört ganz genau zum Buch und ist der dramatischen Familiengeschichte angemessen.

Die deutsche Übersetzung von Barbara Heller und Rudolf Hermstein ist gut gelungen, obwohl ich die Originalsprache ohne Zwischenschritt immer vorziehe.

David Wroblewski, 1959 geboren, wuchs auf einer Farm in Wisconsin auf, unweit des Chequamegon National Forest, wo auch sein Roman angesiedelt ist. Seine Eltern hatten ebenfalls eine Hundezucht.  Das Buch wurde 2008 vom Oprah’s Book Club entdeckt und wurde danach zum Bestseller in den USA und später weltweit. Vorher arbeitete Wroblewski als Softwareentwickler. „Die Geschichte von Edgar Sawtelle“ ist bislang sein einziger Roman.

Die Geschichte des Edgar Sawtelle : Roman / David Wroblewski. Aus dem Englischen von Barbara Heller und Rudolf Hermstein. – DVA, 2009. – ISBN 978-3-641-03720-8 – (epub, 9,99€)

Das Buch ist nur noch antiquarisch oder als E-Book erhältlich.

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

5 Comments

  • SätzeundSchätze

    Das ist ja wunderbar, liebe Erika. Momentan sammeln sich hier die abenteuerlichen Hundegeschichten aus Nordamerika – und deinen Buchtipp hätte ich jetzt ohne #lithund nie und nimmer entdeckt. Das liest sich aber sehr gut! Werde ich mir bersorgen.

    Und Dein Bilbo, das ist so ein schöner … mir gefällt vor allem jedoch auch das stimmungsvolle Pfotenbild, ein echter Hingucker.

    Ich danke Dir herzlich fürs Mitmachen – ich geh jetzt erst mal Gassi 🙂

    Liebe Grüße Birgit

  • Claudia

    Liebe Erika,
    da hast Du mich mit Deinem Beitrag an eine schon länger zuürckliegende Lektüre erinnert. Ich habe auch zum Buch gegriffen, weil mich die Hundegeschichte so interessierte. Und habe auch voller Begeisterung mit dem Lesen begonnen. Aber mich konnte die Geschichte dann doch nicht so recht überzeugen. Das lag vielleicht auch daran, dass Hunde – und Tiere ganz allgemein -, wenn sie denn in der Literatur eine (Haupt-)Rolle spielen, Charaktereigenschaften und Handlungsweisen zugeschrieben bekommen, die sich mit dem realen Leben und den realen Charaktereigenschaften von Hunden „beißen“. Dies auch viel mehr als dies bei der literarischen Gestaltung von menschlichen Protagonisten der Fall ist.Ich glaube, dass ich damit nicht gut umgehen kann.
    Wie auch immer: es ist schön, dass Du Dich mit dem Edgar Sawtelle an unserer Reihe beteiligt hast, so dass ja insgesamt ein ganz vielfältiges und vielschichtiges Bild des literarischen Hundes entsteht.
    Viele Grüße, Claudia

    • Erika Mager

      Liebe Claudia, danke für Deinen Kommentar. Ich habe diesen Punkt (Charaktereigenschaften der Hunde, Vermenschlichung …) extra beim zweiten Lesen noch einmal eingehend betrachtet. Ich glaube, hier stehen die Tiere nicht wirklich im Vordergrund, es ist wirklich eine tragödienhafte Familie. Die Hunde gehören eher zum Charakter des Edgar Sawtelle. Ich finde der Autor hat nicht übertrieben, wenn er angebliche Gedanken Almondines behutsam ausgedrückt hat. Die anderen Hunde haben eigentlich keine eigene Stimme, sondern nur verschiedene Temperamente. Das finde ich, gerade im Zusammenleben mit meinem Hund, ziemlich glaubwürdig.
      Außerdem ist es schön, dass wir Bücher so verschieden in uns aufnehmen und „verstehen“. Das macht ja gerade den Reiz von Literatur aus. Ich bin gespannt, welche Hunde wir noch kennenlernen werden bei #lithund.
      Herzliche Grüße
      Erika

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