antiquarisch,  Buchtipp

Gabriele Tergit – Käsebier…

Kaesebier erobert den Kurfürstendamm von Gabriele Tergit

Ein Hype, Merchandising, eine Blase … von den Machenschaften in der Zeitungsbranche, Pfusch am Bau, schnelles Geld auf Kosten anderer, davon und von noch viel mehr handelt das Buch von Gabriele Tergit: „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“.

In atemloser Sprache, so schnell geschrieben wie gesprochen – meist sind es Dialoge oder die Schilderung der Ereignisse im Telegrammstil. Berliner Schnauze wechselt ab mit dem dünkelhaften Getue der High Society.

Der Plot ist so einfach wie verblüffend. Aus Verlegenheit, unbedingt auf der ersten Seite einer Berliner Tageszeitung einen Aufhänger zu bringen, wird über einen stümperhaft singenden Schlagersänger – mit Namen Käsebier – berichtet, als wäre es Caruso persönlich. Eine Welle der Werbung, der Vermarktung bis hin zum Bau eines eigenen Theaters für Käsebier am Kurfürstendamm, wird losgetreten. Das Gemauschel, die Absprachen, die Profiteure, man kann es sich lebhaft vorstellen. So läuft es ab hinter den Kulissen der Macht und der Kommunalpolitik. Man denke nur an den neuen Berliner Flughafen und andere verpfuschten Projekte der letzten Zeit.

Aber – die ganze Chose spielt 1929 folgende, geschrieben von einer jungen Gerichtsreporterin, veröffentlicht 1931! Nicht zu fassen, wie aktuell dieser alte Roman ist.

Ein Leckerbissen auch für Kulturhistoriker und alle, die gerne lebendig über vergangene Epochen lesen. Hier wird ein pulsierendes Berlin am Ende der „roaring twenties“ geschildert, das ich noch nie so plastisch woanders gefunden habe. Alles ist eben aus erster Hand!

© Jens Brüning

Dem Schöffling-Verlag ist es zu verdanken, dass der Roman, der zu seiner Zeit sehr erfolgreich war, in den 50iger Jahren aber ziemlich schnell wieder in der Versenkung verschwand, wieder ans Licht gehoben wurde. Unbedingt lesenswert, sehr unterhaltsam und nachdenklich machend. Leben wir in ähnlichen Zeiten?

Mein Interesse an der Autorin wurde geweckt durch meine Entdeckungen in der Bibliothek meines Vaters. Näheres dazu unter #VatersBuch

Gabriele Tergit (1894–1982), Journalistin und Schriftstellerin, wurde durch ihre Gerichtsreportagen bekannt. Sie schrieb drei Romane, zahlreiche Feuilletons und Reportagen sowie posthum veröffentlichte Erinnerungen. Im November 1933 emigrierte sie nach Palästina, 1938 zog sie mit ihrem Mann nach London. Dort wählte sie 1957 das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland zum Sekretär, ein Amt, das sie bis 1981 innehatte. (Autorenportrait – Schöffling)

Eine ausführliche Würdigung des Buches hat Maike Albath auf den Seiten des Deutschlandfunks vorgelegt.

Gabriele Tergit: „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“
Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Nicole Henneberg,
Schöffling, Frankfurt 2016, 398 Seiten, 24,95 Euro.

auch als Taschenbuch bei btb oder als eBook

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

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