Wenn der Alltag kippt und Klischees ins Wanken geraten: ein Generationsporträt mit Witz.
Mit ihrem neuen Roman wagt sich Ute Haese auf ungewohntes Terrain: Keine Leiche, kein Ermittlerteam – sondern ein satirischer Blick auf die Boomer-Generation. Und ja, ich gebe es zu: Als Mitglied eben jener Generation habe ich mich beim Lesen das ein oder andere Mal ertappt gefühlt. Nicht immer wohlwollend.
Im Mittelpunkt steht Bernhard Biller, langjähriger Mitarbeiter einer Versicherung und frisch im Ruhestand. Ein Mann mit Gewohnheiten, Routinen – und einer ordentlichen Portion innerem Widerstand gegen den „modernen Kram“. Seine Gedanken schweifen immer wieder zurück in den Büroalltag, zu Kolleg*innen und deren liebenswerten – oder nervigen – Marotten. Bis ihn eine spontane Begegnung im Supermarkt völlig aus dem Takt bringt.
Doch es ist nicht nur Bernhard, der sich verändert. Gemeinsam mit seiner Frau blickt er auf über drei Jahrzehnte Ehe zurück – ein gemeinsames Leben, das nun, da sich die äußeren Koordinaten verschieben, auf neue Weise hinterfragt wird. Auch in ihrer Beziehung beginnt eine leise, manchmal schmerzhafte Entwicklung, die zwischen Irritation, Neugier und Annäherung pendelt. Alte Gewohnheiten werden brüchig, neue Gedanken tauchen auf – nicht nur bei ihm, sondern auch bei ihr. Und auch das Verhältnis zu einem befreundeten Ehepaar bleibt von dieser inneren Bewegung nicht unberührt.
Was folgt, ist eine amüsante, manchmal skurrile Reise der Selbsterkenntnis mit Hindernissen. Ute Haese schreibt mit feiner Ironie und klarem Gespür für Alltagssprache. Die Klischees – und davon gibt es reichlich – verteilt sie treffsicher auf ihre Figuren. Dabei ist vieles überspitzt, aber nie bösartig.
Zwei junge Protagonist*innen, etwa Anfang zwanzig, stehen exemplarisch für die Generation nach den Boomern. Sie kommen aus gut situierten Elternhäusern, haben solide Schulabschlüsse – und doch macht ihnen die Zukunft Angst. Mit gefärbten Haaren, Nasenpiercing und gelegentlichem Jointrauchen im Park versuchen sie, sich von dem abzugrenzen, was ihnen bevorsteht. Keine Karikaturen, sondern verletzliche Figuren auf der Suche nach Sinn.
Ergänzt wird das Figurenensemble durch einen Geflüchteten, der mit Eigeninitiative, guten Deutschkenntnissen und Perspektive einen Kontrapunkt setzt. Auch das gehört zum Gesellschaftsbild, das Haese in vielen kleinen Episoden skizziert.
Besonders gelungen finde ich die Entwicklung des Protagonisten. In einer Mail schrieb mir die Autorin dazu:
„Der Protagonist mausert sich also – flapsig formuliert – durch die Begegnung mit unterschiedlichen Menschen und die Meisterung ungewöhnlicher Situationen von einem ‚Muss ja‘- zu einem ‚Geht doch‘-Typen.“
Das trifft es ziemlich gut. Der Roman lebt von diesen Begegnungen und kleinen Absurditäten, durch die Bernhard sich langsam aus seiner selbstgebauten Komfortzone befreit. Und darunter liegt stets die große Frage: Was nun? – eine Frage, die viele Menschen mit Eintritt in den Ruhestand umtreibt.
Ute Haese lebt in Norddeutschland, „direkt hinterm Deich“, wie sie schreibt. Bekannt wurde sie vor allem mit ihren Küstenkrimis. Muss ja oder Quo vadis, Boomer? ist ihr erster Roman ohne Krimihandlung. Und es ist auch ein kleines Verlagsabenteuer: Erschienen bei Bärenklau Exklusiv, einem auf E-Books spezialisierten Imprint, das mittlerweile auch Printausgaben produziert – wenn’s passt.
Fazit: Wer Lust auf eine unterhaltsame Generationen-Satire mit Tiefgang hat – ob Boomer oder nicht – findet hier eine kluge, humorvolle Geschichte über die kleinen und großen Fragen des Lebens. Besonders für alle, die wissen wollen, wie es sich anfühlt, wenn nach dem letzten Arbeitstag alles anders ist – und das Leben trotzdem weitergeht.
Ute Haese: Muss ja oder Quo vadis, Boomer?
Bärenklau Exklusiv 2025, 401 Seiten, Taschenbuch und eBook