Buchmesse,  Buchtipp

Zumindest für eine gewisse Zeit / Hans Heesen

Aus dem Niederländischen von Evelyne Wehrens

Der kleine unabhängige Verlag „Schruf & Stipetic“ bringt pünktlich zum Gastlandauftritt „Flandern und die Niederlande“ der Leipziger Buchmesse eine wundersame Geschichte vom Verschwinden, Bleiben und Erinnern auf den deutschen Literaturmarkt.

Ist das eigentlich ein Roman?

Eine zarte, luftige Geschichte einer Kindheit in den siebziger Jahren in einer kleinen Stadt an der Ijssel und einer besonderen Freundschaft zwischen Teenagern. Die Tragödien und unerhörten Begebenheiten spielen sich zwischen den Zeilen ab und wiegen um so schwerer.

Der Hauptcharakter ist ein nicht namentlich genannter Gymnasiast. Es ist der Sommer 1974, und er ist heimlich in Frida, ein tschechisch-niederländisches Mädchen, verliebt. Indem er mit ihrem Bruder Freundschaft schließt, entdeckt er, dass ihre Eltern sie von der Schule fernhalten, um eine Teenagerschwangerschaft zu verbergen. In der Zwischenzeit kämpft er mit dem Schmerz um seine ältere Schwester, die ein Jahr zuvor bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Um der bedrückten Stimmung zu Hause zu entkommen, sucht er sich einen Job in einer Buchhandlung, führt er für einen Kunden ein Archiv mysteriöser Fälle von Verschwinden und verbringt Zeit im Café.

Was hat es auf sich mit dem Tod der Schwester des Ich-Erzählers? Warum lebt Frida plötzlich bei den Großeltern? Warum sucht Fridas Bruder Nico, bester Freund aus Kindertagen, plötzlich wieder den Kontakt, obwohl sie Jahre nichts mehr gemeinsam unternommen haben? Ist Fridas Vater vielleicht auch der Vater ihres Kindes? Warum zieht Fridas und Nicos Familie so oft um?

„Dass Nico und ich uns plötzlich, nach zwei jahren wiedersahen, fühlte sich an, als würde ein Film, der erstarrt war – ein unbeabsichtigtes Freeze Frame, verursacht durch ein Stocken des Projektors – wieder anlaufen, wenn auch etwas schwerfällig.“

Hans Heesen: Zumindest für eine gewisse Zeit. – Schruf&Stipetic, 2024 – Über den Autor

Die Geschichte spielt in Zutphen, wo der Autor geboren und aufgewachsen ist. Auch er hat den Unfalltod der eigenen Schwester zu beklagen. Der vorliegende, sicherlich als leicht autofiktional zu bezeichnende Text, dreht sich, wie auch frühere Werke ums Bleiben oder Gehen, um Treue und Verantwortung. Aber auch um ungewollte Schwangerschaften, Mißbrauch, Vertuschen von Tatsachen, große Lebensfragen.

Heesen sagt selbst:

„Ich habe mich immer um das Vergessene oder Verschüttete gekümmert. Das fühlt sich wie eine Verantwortung an und gilt auch für die Geschichte über meine Schwester und Frida. Wenn ich sie nicht aufschreibe, wer dann?“

zitiert und übersetzt von mir nach contactzutphen (letzter Zugriff 08.03.2024)

Wieder einmal muss ich meiner Bewunderung und meinem Staunen darüber Ausdruck verleihen, dass gute Literatur es schafft, große Sachverhalte und komplexe Zusammenhänge in relativ kurze Texte zu verpacken. Auch dies ist ein solches Buch. Meisterhaft wie Heesen mit zarten Strichen und wunderbaren Formulierungen einen Lebensausschnitt festhält. Hier merkt man auch, dass der Autor im Filmmetier zuhause ist und sich mit Kameraeinstellungen und Schnitten auskennt.

Ein Dank auch an die Übersetzerin Evelyne Wehrens, die ganz genau Heesens Ton trifft.

Das Motto des diesjährigen Gastlandauftrittes bei der Leipziger Buchmesse gilt auch für dieses Buch: Alles außer flach!

Über den Autor:

Hans Heesen ist 1959 in Zutphen geboren, wo er seit acht Jahren wieder lebt und eines der ältesten Filmtheater der Niederlande führt. Er schrieb Drehbücher und ist Dozent für Drehbuch an der Filmakademie in Amsterdam. Er ist Mitbegründer des Programms „Writers for Europe“. (Verlagsangaben)

Hans Heesen Foto: © Frank-Mossink

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Zumindest für eine gewisse Zeit. Roman / Hans Heesen. Aus dem Niederländischen von Evelyne Wehrens. – Klappenbroschur; 140 Seiten. – Berlin: Schruf&Stipetic, 2024 – ISBN 978-3-944359-80-9

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary