Cover von "Groll" von Gianrico Carofiglio
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Groll / Gianrico Carofiglio

aus dem Italienischen von Verena von Koskull

„Beide, Ermittler eines Verbrechens und der Autor eines Romans, haben etwas gemeinsam. Sie müssen Geschichten erzählen können.“

Zitat Gianrico Carofiglio während der Lesung im Istituto Italiano di Cultura di Colonia am 09.11.2023
Giancarlo Carofiglio mit Eo
Gianrico Carofiglio ©e_mager

„Groll“ von Gianrico Carofiglio erzählt auf mehreren Ebenen eine spannende Geschichte.

Der Autor lässt hier erstmals eine weibliche Ermittlerin auftreten. Außerdem ist der Schauplatz erstmals Mailand.

Carofiglio wurde von Mondadori gebeten, zum Jubiläum der berühmten Reihe der Gialli Mondadori1 einen sogenannten „poliziotto“ zu schreiben. Erst wollte er nicht so richtig, aber dann motivierte er sich, indem er die neue Reihe in ein anderes Milieu verlegte und mit einer weiblichen Hauptfigur entwickelte. Groll ist übrigens der zweite Roman der Serie, der erste mit dem Titel „La disciplina die Penelope“ ist noch nicht auf Deutsch erschienen.

Der Plot

Penelope Spada ist ehemalige Staatsanwältin und mit der Polizeiarbeit bestens vertraut. Das hat sie übrigens mit dem Autor gemeinsam. Sie hätte, obwohl eine Frau, am meisten autobiographische Züge, so Carofiglio.

Zu Beginn des Romans erleben wir Penelope privat. Sie trainiert im Park mit ihrer Bullterrierhündin Olivia. Dabei lernt sie Alessandro kennen, der ein Händchen für Hunde zu haben scheint und außerdem sehr zurückhaltend ist. Beide Eigenschaften sind Penelope sehr sympathisch.

Die Beziehung entwickelt sich als Nebenschauplatz parallel zum Plot. Eine Fortsetzung der Reihe um Spada ist wahrscheinlich schon mitgedacht.

Die Privatermittlerin, die ohne festen Job ist und deshalb auch keine Rechnungen schreiben kann, wird von Marina, der Tochter des berühmten Arztes und Universitätsprofessors Vittorio Leonardi, aufgesucht und engagiert, weil sie den Tod ihres Vaters vor zwei Jahren nicht als natürlichen Herzinfarkt akzeptiert und dessen zweite Ehefrau Lisa des Mordes verdächtigt. Obwohl die Polizei und ein Arzt den Fall bereits als geklärt betrachten, hat Marina starke Zweifel.

Penelope Spada nimmt den Auftrag an, obwohl auch sie davon überzeugt ist, dass an der Sache nichts dran ist. Der Name Vittorio Leopardi lässt sie jedoch aufhorchen, denn ihre Entlassung vor fünf Jahren hängt irgendwie mit dieser Person zusammen.

Besonderheiten

In Zeitsprüngen zurück zum alten Fall erfahren wir nach und nach, was damals passiert ist und welche groben Fehler in der Ermittlungsarbeit dazu führten, dass Spada dauerhaft vom Dienst suspendiert wurde.

Durch die Rückblicke führt uns der Autor geschickt in die Zeit nach Korruption und „Tangentopoli“ ein, in der trotz der Anti-Maffiagesetze und „Mani pulite“ der 90iger Jahre weiterhin einzelne einflussreiche Gruppen, darunter auch Mitglieder der Freimaurer, die Regierungsgeschäfte und auch die Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten gefährdeten.

Charaktere

Die Art und Weise, wie Carofiglio die verschiedenen Charaktere einführt und deren Beziehungen zueinander entfaltet, gefällt mir gut. Auch diesmal scheint Penelope Spada wieder Fehler zu machen. So entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen Penelope und Lisa, der Witwe des Opfers. Kann sie wirklich unvoreingenommen ermitteln, obwohl sie große Sympathie zur Hauptverdächtigen entwickelt? Gleichzeitig belastet sie der Umstand, dass sie gegenüber Lisa nicht ehrlich ist und sich die Freundschaft geradezu erschlichen hat.

Drei Ebenen

Die Handlung von „Groll“ ist geschickt konstruiert, und der Schluss des Buches ist überraschend, aber dennoch äußerst logisch. Carofiglio verwebt die verschiedenen Handlungsebenen und bietet damit eine gut durchdachte und spannende Geschichte.

„Sie bekommen drei Bücher in einem: einen Kriminalfall, eine packende persönliche Geschichte der Hauptfigur und einen Liebesroman.“

(G. Carofiglio im Gespräch, s.o.)
Psychologische Einblicke in die Ermittlungsarbeit

Die Autorität des Autors als ehemaliger Richter, Senator und Anti-Mafia-Staatsanwalt spiegelt sich in den Ermittlungs- und Verhörtechniken wider, die in den inneren Monologen der Ich-Erzählerin zum Thema werden. Sie bieten uns faszinierende Einblicke in die Welt der Psychologie und der Kunst des Fragenstellens.

Paola Barbon im Gespräch mit Gianrico Carofiglio
Paola Barbon im Gespräch mit Gianrico Carofiglio am 09.11.2023 ©e_mager

(Übrigens sehr interessant und auch nützlich im Alltag, wenn man selbst zu den Menschen gehört, die viel zu schnell Fragen selbst beantworten und dem Gegenüber nicht genug Zeit zum Antworten geben. Ich will es unbedingt ausprobieren.)

Groll – zum Titel

Jeder scheint hier Groll zu hegen, sei es aufgrund von persönlichen Verlusten oder verborgenen Geheimnissen. Die Ermittlerin selbst, die Tochter des Opfers und sogar der befreundete Arzt, sie alle tragen eine Last aus der Vergangenheit, die ihre Entscheidungen und Handlungen im Laufe der Geschichte beeinflussen.

Gianrico Carofiglio erzählt, dass der Verleger den Titel „Rancore“, zu deutsch Groll, zuerst ablehnte, da er auf die Leserschaft abschreckend wirke und sich nicht gut verkaufen würde. Aber da irrte der Verlag gewaltig. Carofiglio setzte sich durch und die Verkaufszahlen und die Begeisterung der Leser*innen geben ihm recht.

Fazit

Insgesamt ist „Groll“ von Gianrico Carofilio ein gut geschriebener Kriminalroman mit einigen Twists. Die Kombination aus Kriminalgeschichte, Psychodrama und vielschichtigen Charakteren macht dieses Buch zu einem Lesegenuss für Fans von Krimis mit Tiefgang.

Die Übersetzung durch Verena von Koskull ist gelungen. Ihre Fähigkeit, die subtilen Nuancen des Originaltexts beizubehalten und die Präzision in der Übertragung lässt uns die Tatsache vergessen, dass wir nicht das Original lesen. Ein literarischer Gewinn.

Buona lettura!


Über Autor und Übersetzerin

Gianrico Carofiglio, geboren 1961 in Bari, arbeitete jahrelang als Richter, Senator und Anti-Mafia- Staatsanwalt und beschäftigte sich schon früh intensiv mit Verhörtechniken und Aussagepsychologie. Ihn faszinieren die Tiefen der menschlichen Seele, die Ursachen einer Straftat, die Kluft zwischen Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit, der Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Nebenbei besitzt er den schwarzen Gürtel im Karate und kritisiert die westliche Kultur des Narzissmus. Seine Bücher, inzwischen millionenfach verkauft, sind in 28 Sprachen übersetzt. (Verlagsangaben)

Verena von Koskull arbeitete nach ihrem Studium der Italianistik und Anglistik in Verlagshäusern in Italien und Deutschland. Heute übersetzt sie Literatur aus dem Italienischen und dem Englischen. Für ihre Übersetzung des Romans Die katholische Schule von Edoardo Albinati erhielt sie 2020 den Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis. 

Carofiglio, Gianrico:
Groll : Krimi / Gianrico Carofiglio; aus dem Italienischen von Verena von Koskull. – Wien u. Bozen : Folio, 2023. – Einheitssacht.: Rancore
ISBN 978-3-85256-886-7 Hardcover und eBook

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  1. I gialli Mondadori: die gelben Krimis, die im Verlag Mondadori seit 1929 alle zwei Wochen herauskamen, gaben dem Genre „Krimiliteratur“ (poliziotto) den Überbegriff „giallo“. ↩︎

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

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