Terra incognita – hic sunt leones. Unbekanntes Land – hier sind Löwen. So steht es auf uralten Karten der noch nicht ganz erkundeten Welt. Bei Paula Fürstenberg sind es die geflügelten Tiger, die ihre Icherzählerin und Hauptperson Johanna auf einer Nachbildung der Ebstorfer Weltkarte (Link) gesehen hat. Johanna ist zwei Jahre vor der Wende in der Uckermark geboren. Nach der Schule hat sie die kleine enge Welt ihres Dorfes verlassen, in dem ihre Mutter als Tierpflegerin arbeitet. Anstatt zu studieren, wie ihre Mutter sich das gewünscht hätte, wird sie Straßenbahnfahrerin in Berlin. Ihr Vater , der kurz vor dem Mauerfall verschwunden ist, meldet sich plötzlich per Postkarte und möchte sie wiedersehen.
Sie findet ihn in einem Krankenhaus, wo er im letzten Stadium eines schweren Krebsleiden liegt. Dort trifft sie auch Antonia, ihre Halbschwester und Hilde, die Großmutter der beiden. Alle bleiben ihr seltsam fremd. Als sie endlich Fragen hat, die sie von ihrem Vater beantwortet haben will, wird dieser durch die Krankheit sprachlos.
Befragt sie die anderen Familienmitglieder, präsentiert jeder eine andere Version. Ihr ganzes Leben scheint ihr als Terra incognita, eine Familie der geflügelten Tiger. Ihre eigene Orientierungslosigkeit versucht sie mit dem Sammeln von alten Landkarten zu kompensieren. Anstatt eines eigenen Lebensweges fährt sie lieber auf den festen Schienen der Straßenbahn durchs Leben. Um Antworten zu bekommen, schreibt sie auf einer alten Schreibmaschine Stasiprotokolle selbst. Am Ende legt sie sich ihre eigene Wahrheit zurecht, mit der sie leben kann.
Paula Fürstenberg hat etwas zu erzählen. Sie nimmt uns mit in die Gedankenwelt der „Wendeverlierer“, wie sie es ausdrückt. Ganz unaufdringlich und mit leichten Worten entwickelt sie vor unseren Augen eine Seelenlandkarte der jungen Nachwendegeneration. So hat man sich dem Thema DDR und Wiedervereinigung noch nicht genähert. Ein Buch, das ich gerne empfehle!
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