Buchtipp

Tim Krohn: Herr Brechbühl sucht eine Katze

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Ein Kosmos menschlicher Regungen in einem vierstöckigen Genossenschaftshaus in Zürich. Acht Mietparteien und eine Gästewohnung. Hier lebt die fünfjährige Mona mit ihrer Mutter, hier lieben sich Pit und Petzi, gerade erst von zu Hause ausgezogen,  hier bereiten sich Herr und Frau Wyss auf das Lebensende vor. Außerdem ist da noch der allein lebende Herr Brechbühl und ein paar andere mehr oder weniger normale Personenm – wie aus dem Leben gegriffen.

Halten Sie kurz inne und stellen Sie sich vor, was da alles zutage tritt, was man da alles erzählen könnte.

Genau das macht Tim Krohn. Zuerst hat er ein Archiv menschlicher Regungen angelegt. Mehr für sich und seinen Fundus für gute Geschichten. Doch dann brauchte er Geld für ein behindertengerechtes Bad für seine alte Mutter. Er startete eine Crowdfundingaktion, bei der er seine Geschichten für Geld anbietet. Die menschlichen Regungen, von Aalglätte bis Zynismus, kosten je nach Aufwand und Beigaben von 250 € (ohne zeitliche Frist, die Geschichten werden in der Reihenfolge ihrer Bestellung bearbeitet. Da Band 4 bereits voll ist, kann es 2019 werden, bis die Geschichte geschrieben ist) bis zu 5000 € (wenn du uns mit Begleitung deines Partners / deiner Partnerin zu einem einwöchigen Schreibworkshop in unserem Haus im Münstertal besuchen möchtest, plus Abschlusslesung für eure eingeladenen Freunde vor Ort, an der ihr und ich lest. Ausserdem erhältst du fünf gewidmete Exemplare des Bands, in dem deine Geschichte erscheint.) 

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Die ersten 65 Regungen sind schon in jeweils einer Episode verarbeitet und in den ersten veröffentlichten Band verpackt, der seit Februar 2017 im Handel ist. Weiter Bände folgen. Das Projekt läuft noch.

Krohn bittet seine Leser und Leserinnen zum gewählten Begriff noch drei x-beliebige Wörter oder auch Zahlen dazu zu geben, damit er daraus die Geschichte entwickeln kann. Das erinnert mich an den Deutschunterricht in der Grundschule, wo wir aus einem vorgegebenem Anfangssatz eine Geschichte schreiben sollten.

Herausgekommen ist ein Episodenroman, der wie in einer ewig fortgeführten Vorabendserie, immer neue Geschichten mit dem vorhandenen Personal erzählt. Die auftretenden Typen werden uns schnell bekannt mit ihren Schrullen und Eigenarten. Das Mietshaus bietet durch allfällige Konflikte und Begebenheiten viele Anknüpfungspunkte zwischen den Parteien. Das liest sich nett und unterhält. Für diejenigen, die den jeweils Titel gebenden Begriff ausgewählt haben, ist es bestimmt aufregend, nun persönlich mit einem Buch in Verbindung zu stehen. Ihre namen sind am Ende des Buches aufgeführt. Für die Episoden selbst ist der Begriff meist unerheblich. Die Geschichte wird weitergesponnen, die menschliche Regung darin verarbeitet, jedoch so subtil, dass ich regelmäßig zurückblättern musste, um mich überhaupt an den Begriff zu erinnern.

In jedem Satz kann man die unbändige Fabulierlust des Autors spüren. Er ist ein Geschichtenerzähler alten Schlages aus Zeiten, da man abends noch am Küchentisch zusammen saß, weil es das Fernsehen noch nicht gab.

Obwohl das Buch natürlich auf Hochdeutsch vorliegt, „hört“ man beim Lesen ab und zu das Schweizerische durch. Es hat einen anderen Rhythmus und immer wieder auch andere Wörter.  Mich hat es sehr gut unterhalten. Abseits der etwas sonderbaren Crowdfundingaktion könnte ich mir Tim Krohn als Autor weiterer spannend erzählter Bücher mit etwas mehr Tiefgang gut vorstellen. (weitere Titel: Nachts in Vals (2015) und Aus dem Leben einer Matratze bester Machart (2014))

Herr Brechbühl sucht eine Katze : Roman / Tim Krohn. – (Menschliche Regungen ; Band 1). – 480 S. – Berlin: Galiani, 2017. – ISBN 978-3-86971-147-8 ; 24 €

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary