aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt
„… dass das, was wir für Glück halten, bloß winzige Momente in unserem Leben sind, mehr steht uns nicht zu, da wir ansonsten dafür büßen müssen, die Erde überzubevölkern.“
K.O. / Maurizio Fiorino. Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt. – 1. Aufl. – Freiburg: Nonsolo, 2023 – S.129
Hier ist alles hässlich und unordentlich. Irgendein Dorf im Süden Italiens der achtziger Jahre. Bagnamurata hat noch nicht einmal eine eigene Geschichte, denn es wurde neben dem alten Dorf nach einem Erdrutsch wieder aufgebaut.
Die Trostlosigkeit und Hässlichkeit ist die eine Seite, die fehlenden Vorbilder für ein gelingendes Leben die andere. Biagio, der Ich-Erzähler, wächst ohne Mutter in der Metzgerei seines Vaters auf. Seine Mutter starb bei einem Autounfall, als er ein Jahr alt war. Sein Vater war da selbst erst 18. Damit waren dessen Lebensträume von einem freien Leben – er wollte ein „Brigante“ werden – zunichte gemacht. Das lies er seinen Sohn jeden Tag spüren.
Biagio wird von Lia, der „Dorfhexe“ verwahrt und versorgt, die im gleichen Haus wohnte, bis er aus dem Gröbsten heraus war. Alle Männer im Dorf strahlen eine toxische Männlichkeit aus und lassen andere Lebenskonzepte nicht gelten. Vittorio, der einzig „andere“ Mann, der gerne in Frauenkleidern herumläuft, wird als pervers beschimpft und häufig verprügelt.
Erst in der Schule hat Biago Kontakt zu etwas Schönem, als ihn eine neue Lehrerin, Elsa, in ihr Herz schließt und ihm zwei große Bildbände mit antiker Kunst schenkt. Er studiert diese Bücher ausgiebig und immer wieder und fühlt sich eigentümlich angezogen von den Darstellungen römischer Männerfiguren auf Vasen und Wandmalereien.
Aber auch dieser kleine Lichtblick währt nicht lange.
Fiorino schildert das Leben des jungen Mannes als Abfolge von verpassten Chancen.
Immer wieder schöpft Biagio Hoffnung auf eine gute Wendung in seinem Leben, aber nichts will wirklich gelingen. Kurzfristig scheint eine Karriere als Boxer möglich. Aber auch daraus wird nichts.
Eines Tages verschwindet sein Vater spurlos. In seiner Wut schlägt Biagio die ganze Metzgerei kurz und klein. Er lässt sich mit Sara, dem hässlichsten Mädchen des Dorfes ein und heiratet sie, obwohl sich nie eine Liebe zwischen den beiden entwickelt und die Ehe kinderlos bleibt.
Erst die schüchterne Freundschaft zu einem jungen Mann, Alceo, den er beim Boxen kennenlernt, lässt ihn ahnen, dass er schwul ist.
„Wenn einem dermaßen der Mut fehlt, dass man nicht länger so tun kann, als wenn nichts wäre, dann passiert vielleicht was.“ S. 105
Aber auch diese Beziehung gelingt nicht. Alceo geht fort und verwirklicht seinen Traum, als Künstler in Amerika zu leben.
Und so geht das trostlose Leben von Sara und Biagio seinen Gang – gerade so wie es viele Leben in dieser Welt gibt, die einfach am echten Leben vorbei gelebt werden. Ein Teufelskreis der Hässlichkeit und Gewalt, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
„Mit der Zeit vergaß ich, etwas zu empfinden, Gefühle zu haben.“ S. 129
Der Autor, Maurizio Fiorino, hat die Gabe, all diese Verzweiflung und brutalen Vorkommnisse hart zu beschreiben, ohne dabei auf eine poetische Sprache verzichten zu müssen.
Wir leiden mit den Protagonisten und würden ihnen am liebsten zurufen, dass sie etwas ändern müssen, etwas wagen sollen. Immer wieder gibt es Wendungen, an denen Biagios Leben eine bessere Richtung hätte nehmen können. Aber es funktioniert nie. Und so hat das Buch auch kein Happy End, schließt aber mit einer unerwarteten Erkenntnis. Für Biagio und uns.
Der Originaltitel „Macello“ kann im Deutschen mit „Schlachthof, Abschlachten, Gemetzel Katastrophe, Chaos“ übersetzt werden. Auch weist er auf Biagios Spitzname als Boxer „Der Metzger“ hin. Für die Übersetzung hat man sich mit „K.O.“ beholfen, worin schon die Aufgabe, die Erschöpfung und die Resignation mitklingt. Ein Coming-of-Age-Roman – zu einem echten Coming-Out kommt es leider nicht.
Der Verlag
Das Buch ist im Nonsolo-Verlag erschienen, ein unabhängiger Verlag, der im Jahr 2017 in Freiburg im Breisgau gegründet wurde. Das Hauptziel des Verlags besteht darin, zeitgenössischen italienischen Autorinnen und Autoren eine deutsche Plattform zu bieten, indem ihre Werke übersetzt werden. Insbesondere liegt der Fokus auf jungen Talenten oder Autorinnen und Autoren, die in Deutschland noch nicht weitläufig bekannt sind. Der Verlag strebt danach, diesen Schriftstellerinnen und Schriftstellern eine deutsche Stimme zu verleihen – im Einklang mit dem Motto „nonsolo“ eben nicht nur auf Italienisch. (zum Verlag)
Zu Autor und Übersetzerin:
Maurizio Fiorino wurde 1984 in Crotone geboren. Nach Kindheit und Jugend in Kalabrien zog er zunächst nach Bologna, um dort DAMS (Kunst‑, Musik‑, Theater- und Filmwissenschaften) zu studieren, dann nach New York, wo er das International Centre of Photography besuchte. Seine Bilder wurden von diversen amerikanischen Galerien ausgestellt. Heute arbeitet er sowohl in den USA als auch in Italien als Fotograf.
Christiane Burkhardt, geboren 1966, lebt und arbeitet in München. Nach ihrem literaturwissenschaftlichen Studium arbeitete sie als Lektorin und übersetzt heute aus dem Niederländischen, Italienischen und Englischen, darunter u. a. Bregje Hofstede, Paolo Cognetti und Ayesha Harruna Attah.
(Verlagsangaben)
K.O. / Maurizio Fiorino. Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt. – 1. Aufl. – Freiburg: Nonsolo, 2023