Gastland Italien – Folge 8 meines Projekts, die Übersetzungen aus dem Italienischen der letzten Zeit vorzustellen.
Und wieder mal Cognetti. Nachdem ich von ihm im Sommer „Fontane N° 1“ vorgestellt habe, welches meine Sehnsucht nach Rückzug und Bergeinsamkeit angesprochen hatte, musste ich natürlich auch zu diesem besonders schön gemachten Bändchen „Acht Berge“ greifen.
Diesmal handelt es sich um einen Roman, obwohl ich, da er in der ersten Person erzählt, nicht umhin konnte, immer nur den Autor selbst zu hören. Ich kannte ihn ja schon aus seinen Aufzeichnungen aus der Berghütte, die als Sachliteratur gelten.
Nach dem überwältigenden Erfolg des Buches in Italien, wo es den berühmten Premio Strega erringen konnte, erklärt der 39jährige Autor, dass die im Roman erzählte Kindheit wirklich seiner eigenen entspricht, von da nimmt die Geschichte jedoch ihren eignen Verlauf. Vielleicht so, wie er sich sein Leben erträumt.
„L’infanzia è quasi un’autobiografia ne ‚Le otto montagne‘ e poi il romanzo, in maniera un po‘ misteriosa, prende una sua strada. Pietro non sono più io e la sua vita è forse quella che io sognavo.“
Die Geschichte erzählt die unterschiedlichen Lebenswege zweier Jungen, die seit der Kindheit miteinander verflochten sind. Wie bei einer langen Bergwanderung kommt man auch im Leben immer wieder an Weggabelungen, an denen man wählen muss. Hier lässt der Autor die Jungen eben den jeweils anderen Weg gehen.
Das Stadtkind Pietro kommt Jahr für Jahr in den Sommerferien mit den naturbegeisterten Eltern in das kleine Dorf Grana in den Dolomiten. Dort lernen sie den Bauernjungen Bruno kennen. Während Bruno trotz der Förderung von Pietros Eltern das Dorf und die Almwirtschaft nicht verlassen will, zieht es Pietro als Erwachsener bis nach Nepal. Die Bergtouren mit seinem Vater sind sehr spannungsgeladen und schwierig, faszinieren Pietro aber trotzdem. Er entwickelt den Ehrgeiz, trotz seiner Höhenkrankheit, den Anforderungen des Vaters zu genügen.
Es zieht ihn immer wieder zurück in die Berge von Grana und er erkennt, dass sein Vater die Beziehung zu Bruno nie aufgegeben hat. Er war vielleicht der Sohn, der Pietro hätte sein sollen. Auch die Beziehung zu Lara, die Pietro einmal aus der Stadt mit in die Berge nimmt, gestaltet sich schwierig. Mit Bruno dagegen scheint sie ihre Bestimmung gefunden zu haben. Doch auch das reicht nicht für ein ganzes Leben.
Dies ist ein Buch der leisen Töne. Es liest sich leicht wie ein Spaziergang, vermittelt jedoch große Gedanken wie eine anstrengende Bergwanderung. Es treibt sich in den „Acht Bergen“ der Welt herum, weil es den einen Berg noch nicht gefunden hat. Ein nepalesisches Sprichwort sagt, dass die Welt ein Rad mit acht Speichen ist. Diese stehen für acht Berge rund um den Berg Sumero in der Mitte. Im Buch geht es um die Frage: ist es besser, sich auf „allen“ acht Bergen der Welt umzuschauen oder nur auf den einen Gipfel des wichtigen Berges in der Mitte zu steigen?
Christina Burkhardts Übersetzung ist gelungen und bringt die Schönheit und Klarheit Cognettis Sprache auch im Deutschen zum Klingen. Ich mag solche Bücher, die unsere Sehnsucht nach dem einfachen Leben thematisieren und uns zeigen, dass es eine unstillbare Sehnsucht ist.
„Una mattina lui stava per uscire mentre mia madre dormiva, e allacciando gli scarponi si era trovato davanti me, vestito e pronto a seguirlo. Dovevo essermi preparato dentro il letto. Nell’oscurità l’avevo spaventato come se fossi piú grande dei miei sei o sette anni: ero già quello che sarei diventato dopo, nel suo racconto, la premonizione di un figlio adulto, un fantasma del futuro.“
„Eines Morgens, als er gerade aufbrechen wollte und sich die Stiefel schnürte, während meine Mutter noch schlief, habe ich plötzlich vor ihm gestanden: angezogen und aufbruchsbereit. Ich müsse mich im Bett fertig gemacht haben. Im Dunkeln hätte ich ihn erschreckt, so als wäre ich weitaus älter als meine sechs oder sieben Jahre. Schon damals war ich der, der ich einmal werden sollte, zumindest seinen Schilderungen nach: ein Vorgeschmack auf den erwachsenen Sohn, ein Gespenst aus der Zukunft.“
„Acht Berge“ hat das Potenzial zum Klassiker. Ein doppelter „Coming of Age“, der die existentiellen Fragen des Lebens aufgreift aber nie abschließend beantwortet.
…………
Über den Autor:
Paolo Cognetti, 1978 in Mailand geboren, verbringt die Sommermonate am liebsten in seiner Hütte im Aostatal auf 2000 Metern Höhe. Er hat Mathematik studiert, einen Abschluss an der Filmhochschule gemacht und Dokumentarfilme produziert, bevor er sich ganz dem Schreiben zuwandte. Auf Italienisch sind von ihm schon Erzählbände und zwei Romane veröffentlicht worden. »Acht Berge« stand über Monate auf Platz 1 der Bestseller in Italien; der Roman erhielt u.a. den renommiertesten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega, und erscheint in rund 40 Ländern. (Verlagstext)
10 Comments
kaisuschreibt
Das Buch klingt gar nicht mal so schlecht. Zwar müsste ich darauf Lust haben, aber ich werde es mir mal vormerken. Danke für den Tipp! 🙂
e.mager
Es ist ein kleines Bändchen – also nicht so ein abschreckender Wälzer (die ich auch sehr gerne lesen). Wenn man einmal anfängt zu lesen, hat man es in einem Rutsch durch. Eignet sich auch wunderbar für lange Zugfahrten – am Besten in die Berge 😉
Julia
Dieses Cover ist wirklich wunderschön! Ich würde es mir alleine deswegen kaufen und einfach die ganze Zeit anstarren, haha.
Alles Liebe,
Julia
#litnetzwerk
Erika von Litblogkoeb
Hallo Julia,
Du hast recht. 😉
Und Du könntest auch mit geschlossenen Augen die Sterne, die Berge und die Titelschrift ertasten.
Einfach schön gemacht!
Liebe Grüße
Erika
booksnstories
Einen wunderschönen guten Abend und vielen Dank für diese gelungene Rezension, die in gute Worte fasst, was auch ich beim Lesen gedacht habe.
Das Lesen ging mir leicht von der Hand, man fühlte sich fast, als sei man selbst in den Bergen, und trotz dieser Leichtigkeit ist der Roman nicht oberflächlich, sondern beschäftigt sich mit vielen großen Fragen.
Definitiv eine gute Leseentscheidung.
Ich wünsche viele neue und bereichernde Eindrücke durch das #litnetzwerk
Herzliche Grüße
Christina von booksnstories
Erika von Litblogkoeb
Liebe Christina,
es freut mich immer, wenn andere meine Rezensionen nachvollziehen können oder mir eine treffende Analyse bescheinigen. Danke sehr!
Werde gleich mal booksnstories besuchen.
Liebe Grüße
Erika
Kerstin
Hallo Erika,
Ich liebe ruhige Bücher, in denen man sich verlieren kann. Mal geschwind azf due Wunschliste setzen.
Und das Cover ist ja ein Hingucker.
Liebe Grüße
Kerstin
Erika von Litblogkoeb
Liebe Kerstin,
ja, alles zusammen ein „erholsames“ Buch zur Entschleunigung und dabei gar nicht seicht.
Liebe Grüße
Erika
Ricy
Hallo Erika,
eine wirklich wunderbare Rezension. Das Buch hatte ich auch schon ganz oft in den Händen, konnte mich aber letztendlich noch nicht dazu entscheiden, es zu kaufen…dabei hört es sich so gut an. Deine Rezension hat mir jetzt nochmal mehr Lust darauf gemacht 🙂
Liebe Grüße
Ricy
Erika von Litblogkoeb
Hallo Ricy,
du wirst es nicht bereuen!