Nele Pollatschek: Das Unglück anderer Leute
Buchtipp

Das Unglück anderer Leute / von Nele Pollatschek

Nele Pollatschek: Das Unglück anderer Leute
Nele Pollatschek: Das Unglück anderer Leute

Was ist das für ein Buch? Vielleicht schwarzer  Humor? Eine skurrile Familiengeschichte?  Makaber? Ich bin hin- und hergerissen in meiner Beurteilung dieses Lesestoffs.

Soviel vorweg: es lohnt sich, das Buch bis zum Schluss zu lesen!

Beschauliche Lektüre ist das nicht. Wie können Familienmitglieder so miteinander umgehen? Ständig Zank und Streit. Auf der anderen Seite kann man offensichtlich nicht ohne einander.

Wir erleben die ganze Mischpoke (das darf man hier sagen, denn es spielt auch im jüdischen Milieu) aus den Augen der 25jährigen Thene, die gerade einen Master in Oxford abgeschlossen hat und mit ihrem Freund in Heidelberg lebt.

Das Leben könnte schön sein, z.B. mit dem Freund zu einem Wanderparkplatz im nahen Odenwald fahren und dort Picknick machen. Wenn da nicht ihre verrückte Familie wäre. Ihr 15jähriger Halbbruder und Zauberer Eli bringt es fast am Ende des Romans auf den Punkt, wenn er sich über die Häufung der „Bekloppten“ in der Familie wundert: „Ich meine, es kann nicht genetisch sein, weil deine Oma und wir anderen ja keine Gene teilen. Das macht doch keinen Sinn, dass die Bekloppten alle bei uns sind. Deine Oma und Lothars Tochter und Mama und Menachem und Patzi ist auch nicht normal. Wir sind alle irgendwie komisch. Wie kann das sein?“

Am Vorabend der Masterfeier in Oxford sind Oma, Vater und Mutter angereist. Dabei erleidet Thenes Mutter einen tödlichen Unfall. Nun muss die Rückführung der Leiche nach Berlin organisiert werden. Thene lässt die Masterfeier noch über sich ergehen, bevor sie nach Frankfurt reist, wo sie ihre jüngeren Halbgeschwister  Eli und Trixie persönlich und schonend über den Verlust ihrer Mutter informieren möchte. Dort lernen wir weitere Familienmitglieder dieser Patchwork-Sippe kennen. Thenes schwuler Vater Georg hat nach seiner Scheidung den sanften und immer ausgleichenden Christoff geheiratet. Elis Vater Menachem, früher Ralf, ist ganz im orthodoxen Judentum aufgegangen. Oma Patzi kümmert sich um den vietnamesischen Jungen Thao, als wäre es ihr eigenes Kind. Georgs alkoholabhängige Mutter macht ihrem Mann das Leben schwer.

Und immer geht es irgendwie um Liebe und Zuneigung – oder um Hass. Das lässt sich nicht so leicht bestimmen. Thene wundert sich, wie viele Menschen zur Beerdigung ihrer eigentlich in jeder Hinsicht unmöglichen Mutter gekommen sind. Und alle haben sie ihr etwas zu verdanken. Hat sie etwa alle Menschen gleich geliebt? Ist das der Grund, warum sie ihrer eigenen Tochter nicht mehr Liebe zugestanden hat?

Die junge Autorin Nele Pollatschek stellt ihrem Text unter anderem ein Wort Kurt Vonneguts voran: „Bokonon lehrt uns, dass es falsch ist, nicht jeden genau gleich zu lieben.“ Laut Wikipedia äußert Vonnegut „sich skeptisch über das Gelingen der Liebe und deren Wohltaten. Die Menschen bräuchten nach seiner Auffassung weniger Liebe als vielmehr allgemeinen Anstand im Umgang miteinander.“ Ihr turbulentes Buch könnte den Versuch darstellen, diese Aussagen zu illustrieren.

Ich fand es vor allem zu Beginn unerträglich, mich mit dem „Unglück anderer Leute“ zu befassen. Bin aber nun sehr froh, die überraschenden Entwicklungen dieser doch irgendwie liebenswerten Menschen bis zum Ende verfolgt zu haben.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann… Aber es kommt anders.

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Das Unglück anderer Leute : Roman / Nele Pollatschek. – Berlin: Galiani, 2016. – fest geb., 220 S., 18,99€. – ISBN 978-3-86971-137-9

 Hier ein schönes Interview mit Nele Pollatschek

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary