Buchtipp

Evangelio – das helle Wort Gottes

Ein Abend bei Kiepenheuer & Witsch. In der Reihe „Kiwi am Dom“ konnten gestern Abend (2.3.2017) Buchhändler, Presse und BloggerInnen die allererste Lesung Feridun Zaimoglus aus seinem neuen Roman „Evangelio“ genießen. Nach einer Einführung durch seinen Lektor Olaf Petersenn, der mittels einiger schlaglichtartiger Momente aus seinen Begegnungen mit dem Autor auf äußerst charmante Art den Mensch F. Zaimoglu vorstellte.

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Feridun Zaimoglu mit seinem Lektor Olaf Petersenn. © e mager

Und dann begann die eigentliche Lesung. Nach ein paar  Worten, mit denen uns F. Zaimoglu in die Atmosphäre seines Romans einführte, setzte er seine Brille auf, nahm einen Schluck aus seinem Weinglas, besann sich kurz und sprach dann mit veränderter Stimme die Worte des ersten Kapitels von „Evangelio“.  Er intonierte, er dirigierte seine Worte mit silberberingter Hand, er rhythmisierte die Sätze, als ob er musikalische Vortragsbezeichnungen im Text stehen hätte. Ich war fasziniert.

„4. Mai 1521 bis 1. März 1522: Martin Luther hält sich auf der Wartburg auf. Gänzlich unfreiwillig, denn er ist auf Geheiß des Kurfürsten von Sachsen in Gewahrsam genommen worden. Dort sieht er sich größten Anfechtungen ausgesetzt, vollbringt aber auch sein größtes Werk: In nur zehn Wochen übersetzt er das Neue Testament ins Deutsche.“ (Verlagsangabe)

Der Text ist nicht leicht zu lesen. Es „spricht“ der Landsknecht Burkhard, der dem Junker Jörg (Martin Luther) während seiner „Schutzhaft“ als Beschützer zu Seite gestellt war. Eine fiktive Figur, die es aber nach den vielen Recherchen des Autors, so oder so ähnlich gegeben haben muss. Er spricht so, wie man vermutlich am Ausgang des Mittelalters in Sachsen gesprochen und gedacht haben könnte. Natürlich so geschrieben, das wir Heutigen es verstehen können.

Nach dem Vortrag glaube ich, verstanden zu haben, wie ich den Text lesen muss. Es ist Musik und Poesie. Ich stelle mir vor, wie Feridun Zaimoglu beim Schreiben die Worte so lange laut ausprobiert hat, bis jeder Satz die richtige Melodie und den gewünschten Klang hervorbrachte. Da kann ich glauben, dass er sich ganz in diese Figur hineinversetzt hat. Er war beim Schreiben dieser katholische Landsknecht, der auf Luthers Seite stand, aber doch mit ihm um den rechten Glauben stritt und haderte. Er muss sich beim Schreiben vorgekommen sein wie Luther damals, der bei der Übersetzung der heiligen Schrift verzweifelt nach dem richtigen Wort, der richtigen Übersetzung gerungen haben muss. Wollte er doch das „helle Wort Gottes“ finden, auch auf Deutsch, so dass zwischen Gott und dem Leser kein Mittler vonnöten wäre. „Sola scriptura“ allein durch die Schrift – welch ein Unterfangen!

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Preseruatiu Cur vnnd Seelen Artzney, wider die gifftige jetzoschwebende Seuch der New Euangelischen Secten, bevorab deß hochschädlichen Lvthertvmbs (Jngolstatt Eder 1581.)

Der Abend wurde live über Facebook übertragen. Ab der 28. Minute liest F. Z. aus Evangelio.

Evangelio : ein Luther-Roman / Feridun Zaimoglu. – 1. Aufl. – Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2017. – fest geb.; 344 S. – ISBN: 978-3-462-05010-3 ;  22,00€ ab 9.3.17 im Buchhandel

siehe auch:

Interview mit Dennis Scheck

Interview mit F. Z. über seine silbernen Ringe

Nachtrag am 1.5.2017: interessante Rezension bei Kulturernten

 

……….

Nachtrag: frisch von der Leipziger Buchmesse –  Mara Gieses Interview mit F. Zaimoglu

 

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

2 Comments

  • Silvia

    Das war ein toller Abend, in dem mir ein Buch erschlossen würde, dass ich sonst nicht gelesen hätte. Wir hatten ganz ähnliche Gedanken, wenn ich deinen Bericht so lese. Ich habe mich auch gefreut dich mal wieder zu treffen.
    Bis Leipzig!
    Silvia

    • Erika

      Liebe Silvia, das freut mich sehr, dass Dir meine Einschätzung des Abends gefällt. Ich werde das Buch jedenfalls mal lesen, da bin ich sicher. Ich würde mich freuen, wenn wir es schaffen, einen Kaffee in Leipzig zusammen zu trinken. 😉
      Bis dahin liebe Grüße
      Erika

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