Achtung! Mit diesem Buch kann man sich schwer vertun. Wer hier einen klassischen Whodunit erwartet, liegt falsch und wird enttäuscht. Cover, Seitenzahl und Untertitel lassen darauf schließen, es handele sich um einen dieser kurzen, spannenden Krimis, die man in einem Rutsch durchliest und sich am Ende freut, dass mal wieder die Guten gewonnen haben und der Böse im Knast sitzt.
Hier bekommt man im Gegenteil einen Einblick in das korrupte Brasilien Anfang der 90er Jahre, fest gemacht an der misslungenen Entführung des Sohnes eines einflussreichen Werbemanagers. Am Ende spielen alle falsch. die Familie, die Polizei und die Politik. Nur bei den Ganoven und kleinen Leuten findet man noch so etwas wie Gewissen und die Fähigkeit, Mitleid zu empfinden.
Wer sich also auf das Buch von Edney Silvestre, ein in seinem Heimatland bekannter Journalist und Fernsehmoderator, einlässt, bekommt einen kleinen, psychologischen Roman zu lesen, der sehr fein die einzelnen Charaktere aus den verschiedensten Bevölkerungsschichten herausarbeitet. Und wie man auf dem Schnappschuss meiner Morgenzeitung von gestern sieht, hat die Thematik nicht an Aktualität eingebüßt.
Die Entführung des taubstummen Kindes der Hausangestellten ist nur der Aufhänger für einen Plot, der sich nach und nach in Zeitsprüngen und Perspektivwechseln entwickelt. Wie viel ein Menschenleben wert ist, bemisst sich hier nur nach seinem erpressbaren Marktwert. Wer Geld hat, bestimmt, in welche Richtung die Polizei ermittelt und wer für eine Tat verantwortlich gemacht werden kann. Auf die Wahrheit kommt es nicht mehr an.
Kein schneller Krimi also, sondern ein durchaus nachwirkender und nachdenklich machender Roman. Sehr lesenswert!