©e_mager Domenico Starnone : Auf immer verbunden
Buchtipp,  Gastland Italien

Auf immer verbunden / von Domenico Starnone

Wie viel hält eine Ehe aus?

Domenico Starnone aus Neapel ist Lehrer, Journalist und Drehbuchautor. Er lebt in Rom und hat für „Via Gemito“ (2005 bei Haymon) den berühmten Premio Strega gewonnen – die höchste Auszeichnung, die man in Italien für ein Buch bekommen kann. Jetzt wurde bei DVA sein Roman „Lacci“ von 2014 von Christiane Burkhardt ins Deutsche übertragen.

Starnone bietet uns einen großen Lebenskosmos, den er mit sparsamen Worten auf wenigen Seiten großartig entfaltet. Liebe, Schmerz, Hass, Leid und Schuld – ohne jemals kitschig zu werden. Eine ganz große Leistung. Ja, es ist geradezu ein Lehrstück für einen Schreibkurs, ohne jemals danach zu klingen. Starnone ist ein Meister der Auslassung, die sich mit jedem weiteren, nicht geschriebenen Wort in den Köpfen der Leser zu einem vollständigen Bild zusammensetzen. Und mit jedem weiteren, lakonischen Satz wächst unsere Erkenntnis und das Entsetzen.

©e_mager Domenico Starnone : Auf immer verbunden
©e_mager Domenico Starnone : Auf immer verbunden

Zum Inhalt

Neapel 1962: Aldo und Vanda heiraten. Sie bekommen zwei Kinder, Anna und Sandro. 1974 verliebt sich Aldo in Lidia. Er zieht zu ihr nach Rom, lässt sich aber nicht scheiden. Für ihn ist es in Ordnung, so wie es ist. Als er spürt, dass er die Kinder verliert, zieht er in die eheliche Wohnung zurück. Er unterhält weiterhin die Beziehung zu Lidia, die sich aber ihrerseits mehr und mehr zurückzieht.

Aldo und Vanda führen ihre Ehe weiter. Alles „funktioniert“ bestens, solange Aldo tut, was Vanda erwartet. Sie straft ihn für den Betrug an der Familie, indem sie ihn völlig unterwirft. Nach außen und innen leben sie ein normales und angepasstes Eheverhältnis, zusammengehalten von Konvention, Respekt und Gewohnheit. Es funktioniert bis ins hohe Alter. Sie arrangieren sich: Vanda hat heimlich Affairen, ebenso Aldo. Außerdem hält er seine liebevolle Beziehung zu Lidia aufrecht, die mittlerweile verheiratet ist und selbst drei Kinder hat.

Der Aufbau 

Vor uns liegen drei Teile, die in sich wiederum gegliedert sind:

Teil 1 hat ein Kapitel, welches neun Briefe von Vanda an Aldo zur Zeit der Trennung zwischen 1974 und 1978 umfasst. Vanda macht Aldo schwere Vorwürfe und beschwört ihn, zurückzukehren. Erst ist sie wütend, dann bettelt sie. Es kommt zum Selbstmordversuch, am Ende bittet sie nur noch für die Kinder.

„Ich habe mich umgebracht. Ich weiß, dass es richtig heißen muss, ich habe versucht mich umzubringen, aber das stimmt nicht. Im Grunde bin ich tot.“

Teil 2 besteht aus drei Kapiteln zu acht, elf und fünf Abschnitten. Aldo erzählt: „Alles schön der Reihe nach…“ Fast vierzig Jahre später. Aldo und Vanda sind mittlerweile ein altes Ehepaar. Er merkt, dass er schwierigen Situationen nicht mehr so gewachsen ist, wie früher. Es schmerzt ihn, dass man ihn übers Ohr hauen kann. Dafür findet er einige beunruhigende Beispiele.

Die beiden verbringen einen Urlaub in einem Hotel am Meer, den Kater Labes lassen sie in der Wohnung. Die Kinder Anna und Sandro kümmern sich abwechselnd um ihn und die Pflanzen. So ist es abgemacht.

„Wir wohnen seit dreißig Jahren in diesem Haus, und immer wenn es woanders hingeht, tut sie so, als kehrten wir nie mehr zurück. Mit den Jahren wird es immer schwieriger, sie dazu zu bringen, mir den einen oder anderen Tapetenwechsel zu gönnen. Vor allem weil sie befürchtet, die Kinder oder Enkel könnten dann zu kurz kommen. Aber in erster Linie will sie Labes nicht allein lassen.“

Der Urlaub verläuft wie die ganze Ehe: unterschwellige Spannungen werden durch Aldos gleichmütige Art abgefedert und ergeben nach außen hin das Bild eines normalen, älteren Ehepaars. Es wird schließlich sogar ganz schön.

Als sie nach Hause kommen, ist alles zerstört. Die Wohnung steht offen, alles ist verwüstet, vom Kater keine Spur. Das Ehepaar steht geradezu vor den Trümmern seiner Ehe. Während sich Vanda nach dem Schreck völlig erschöpft ins notdürftig hergerichtete Schlafzimmer zurückzieht, fängt Aldo noch in der Nacht an, aufzuräumen. Beim Sortieren der herumliegenden Fotos und Briefe lässt Aldo die Jahre an sich und uns vorüberziehen. Er findet die Briefe von Vanda an ihn wieder … und beginnt zu erzählen.

„Ich empfand Ärger, Verlegenheit und Mitleid und wollte den Umschlag gleich wieder verstecken, bevor meine Frau aufwachte. … Wie erdrückt von etwas, das auf einmal wieder schwer auf mir lastete, setzte ich mich auf den Boden. Ich zog das Gummiband ab und las nach vierzig Jahren noch einmal einige der vergilbten Blätter, …“

Im zweiten Kapitel des zweiten Teils erfahren wir die ganze Geschichte. Eine Lebensbeichte. Schonungslos und hellsichtig.

Im dritten Kapitel bricht der Tag an, beide räumen gemeinsam auf. Es kommt zur ersten echten Aussprache während der ganzen langen Ehe.

„Ich hatte nur eine einzige Frage: warum hat sie beschlossen, mir dermaßen brutale Dinge ins Gesicht zu sagen, wieso merkt sie nicht, dass viele davon schlimme Konsequenzen für unsere gemeinsamen letzten Jahre haben können?“ – „Nach dem Mittagessen – vielleicht weil sie ihr Ausbruch innerlich gereinigt hatte – verhielt sich Vanda genau wie vorher.“

Teil 3 ist ein Bericht aus der Sicht der Tochter Anna in zehn kurzen Abschnitten. Auf dreißig kurzen Seiten wird die ganze Geschichte noch einmal vom Kopf auf die Füße gedreht. Fantastisch und mit Knalleffekt. Und diesen werde ich nicht verraten!

„Jede Wohnung ist scheinbar aufgeräumt, aber in Wirklichkeit unaufgeräumt.“ „Das musst Du mir erklären.“ „Ich erklär dir gar nichts, ich zeig es dir.“

Quintessenz

Ein Leben als klassische Tragödie in drei Aufzügen. Ein Erzähldreieck von Mutter, Vater und Tochter.

Dieser Roman ist ein Leseerlebnis, selbst wenn man die handwerkliche schriftstellerische Leistung nicht mitliest oder gar bemerkt. Wahrscheinlich gerade dann. Für mich eines der Bücher, die ich am Ende dieses Jahres zu den Highlights zählen werde!

Zur Übersetzung

Se tu te ne sei scordato, egregio signore, te lo ricordo io: sono tua moglie. Lo so che questo una volta ti piaceva e adesso, all’improvviso, ti dà fastidio. Lo so che fai finta che non esisto e che non sono mai esistita perché non vuoi fare brutta figura con la gente molto colta che frequenti. Lo so che avere una vita ordinata, doverti ritirare a casa a ora di cena, dormire con me e non con chi ti pare, ti fa sentire cretino. Lo so che ti vergogni di dire: vedete, mi sono sposato l’11 ottobre del 1962, a ventidue anni; vedete, ho detto sí davanti al prete, in una chiesa del quartiere Stella, e l’ho fatto solo per amore, non dovevo mettere riparo a niente; vedete, ho delle responsabilità, e se non capite cosa significa avere delle responsabilità siete gente meschina. Lo so, lo so benissimo. Ma che tu lo voglia o no il dato di fatto è questo: io sono tua moglie e tu sei mio marito, siamo sposati da dodici anni – dodici anni a ottobre – e abbiamo due figli, Sandro, nato nel 1965, e Anna, nata nel 1969. Ti devo mostrare i documenti per farti ragionare?.

Ich habe das Buch erst auf Deutsch und dann noch mal auf Italienisch gelesen. In beiden Fällen ist es ein toller Text, das muss man der Übersetzerin Christiane Burkhardt lassen. Ich habe mich jedoch manches Mal gewundert, wie die Übersetzung in Feinheiten vom Original abweicht. Da zeigt sich dann das Sprachgefühl einer guten Übersetzerin, die es versteht, die jeweils richtige Bedeutungsebene in der Mentalität beider Sprachen zu berücksichtigen.

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Auf immer verbunden : Roman / Domenico Starnone. Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt. – 1. Auflage. – München: Deutsche Verlagsanstalt, 2018. – 170 S. ; fest geb. mit SU : 18 € . – ISBN 9783421048073

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary

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