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Latein lebt / Nicola Gardini

Gastland Italien – Folge 8

978-3-498-02539-7
In meiner Reihe zu interessanten Übersetzungen aus dem Italienischen möchte ich diesmal auf ein Sachbuch aufmerksam machen.

Nicola Gardini schreibt geradezu hymnisch über sein geliebtes Latein. Er kann davon schwärmen, wie andere es bei besonderen Menschen tun.

Er verbindet die verschiedenen Werke dieser alten, ehrwürdigen Sprache mit seinen eigenen Lebensstationen. Dabei geht er nicht immer chronologisch vor, aber heraus kommt so etwas wie eine Biographie des Lateinischen.

Die großen Autoren und klassischen Werke werden in ihrer Bedeutung für die Weiterentwicklung der damaligen Weltsprache vorgestellt und in Beziehung zu nachfolgenden Autoren und Literaturen bis in die Gegenwart gesetzt. In zahlreichen, recht kurz gehaltenen Textbeispielen versucht der Autor, die verschiedenen Stile der Klassiker Ennius, Vergil, Catull, Ovid , Titus Livius und viele andere herauszustellen und dem lateinkundigen Leser vor Augen zu führen. Wenn man so wie ich, Latein in der Schule gelernt, aber zum größten Teil wieder vergessen hat, dann kann man sich noch am Rhythmus und Ebenmaß des Textes erfreuen und die Thesen des Autors an der jeweils folgenden deutschen Übersetzung nachvollziehen. Schön wie es der Übersetzerin Stefanie Römer gelingt, die lateinischen Beispielsätze dem deutschen Leser nahezubringen, obwohl sich der Autor im Original an ein italienisches Publikum wendet, das viele Wendungen intuitiv richtig erfassen kann.

Mir gefällt an diesem Buch, dass ich begreife, wie wichtig Latein für die Herausbildung analytischen Denkens, Sprechens und Schreibens für die europäische Entwicklung war und damit erst die moderne, westliche Welt ermöglicht hat. In gleicher Weise ermöglicht das Studium der lateinischen Sprache, selbst wenn man diese nie sprechen wird, die Entwicklung des eigenen Denkens, Sprechens und Schreibens.

Faszinierend auch, dass eine Sprache von kleinsten Anfängen – ausgehend von einer kleinen Region rund um das spätere Rom – so flexibel ist, dass sich daraus eine Weltsprache entwickeln und formen lässt.

Sicher ist das Buch kein Bestseller für eine breite Leserschaft. Aber alle, die sich für Schönheit von Sprache allgemein und Latein im Besonderen interessieren und begeistern können, sollten Gardini lesen: ein Plädoyer, die Klassiker wieder zu lesen und damit den Geist, die Kreativität, die Phantasie zu schulen und den großen Fragen des Lebens auf die Spur zu kommen; mithilfe einer alten, aber keineswegs nutzlosen Sprache.

gardiniDeshalb heißt das Buch im Original „Viva il Latino“ – ein Appell also, die Beschäftigung mit Latein nicht aufzugeben.

Dire latino significa prima di tutto dire un impegno totale a organizzare il pensiero in discorsi equilibrati e profondi, a selezionare i significati nella maniera più pertinente possibile, a coordinare i vocaboli in assetti armonici, a esprimere verbalmente anche gli stati più fuggevoli dell‘interiorità, a credere nell‘espressione e nella dimostrazione, a registrare il contingente e il transeunte in un linguaggio che duri oltre le circostanze.

In der deutschen Übersetzung von Stefanie Römer klingt es so:

Von Latein zu sprechen bedeutet vor allem, von der unabdingbaren Pflicht zu sprechen, die Gedanken in ausgewogenen und tiefgründigen Gesprächen zu ordnen, die Bedeutungen aufs sorgfältigste auszuwählen, die Wörter harmonisch aufeinander abzustimmen, auch die flüchtigsten Zustände des Inneren in Worte zu fassen, dem Ausdruck und der Beweisführung zu trauen, das Zufällige und das Vergängliche wahrzunehmen, das die Sprache überdauert. (S. 22)

Latein lebt : von der Schönheit einer nutzlosen Sprache / Nicola Gardini. Aus dem Italienischen von Stefanie Römer. – 1. Aufl., 300 S. – Rowohlt: Reinbek bei Hamburg, 2017. – ISBN 9783498025397 ; 19,95€

 


über den Autor:

Nicola Gardini, geboren 1965, ist Professor für Italienisch und Vergleichende Literaturwissenschaften in Oxford. Er hat in Mailand und New York an der NYU studiert und ist Experte für die Literatur der Renaissance. (Verlagstext)

 

neugierig, wissbegierig, biblioman, non binary